Für Montag hat die Gewerkschaft ver.di einen Groß-Streik im öffentlichen Nah- und Fernverkehr angekündigt. Damit stellen sich drei Fragen:

1. Geht das überhaupt?
Grundsätzlich ja, denn das Streikrecht ist durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt. Allerdings gibt es verfassungsrechtliche Grenzen. Die liegen typischerweise dort, wo das Streikrecht mit anderen Grundrechten kollidiert. Der Wissenschaftliche Dienst führt insoweit aus:

In einer Grundsatzentscheidung aus dem Jahre 1971 stellt das Bundesarbeitsgericht fest, dass Arbeitskampfmaßnahmen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unterlägen und durch sie das Gemeinwohl nicht offensichtlich verletzt werden dürfe. Der Bundesgerichtshof erkennt in seiner „Fluglotsenentscheidung“ von 1978 ebenfalls die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Arbeitskampf an. Das Bundesverfassungsgericht betont in einer Entscheidung aus dem Jahre 1991 im Hinblick auf die Grenzen der Koalitionsfreiheit dass eine Einschränkung des Arbeitskampfes nicht ausgeschlossen sei; diese könne durch Grundrechte Dritter und andere Güter von Verfassungsrang gerechtfertigt sein.

Merke: In Deutschland fallen politische Streiks nicht unter das Streikrecht. Ob sog. „Generalstreiks“ vom Streikrecht gedeckt sind, ist seit jeher umstritten. Auch hierzu hat der Wissenschaftliche Dienst ein Gutachten erstellt:

Aus den oben skizzierten gesetzlichen Grenzen ergibt sich, dass ein Generalstreik als arbeitsrechtlicher, auf tarifliche Regelungen gerichteter Streik nur in Betracht kommt, wenn die Gewerkschaften entgegen der bisherigen Praxis die tarifvertragliche Regelung einer Materie für alle Arbeitnehmer aller Wirtschaftszweige anstreben würden. Angesichts der branchenbezogenen Entwicklung der tariflichen Arbeitsbedingungen ist dies nicht zu erwarten. Dies würde nämlich voraussetzen, dass sich die Gewerkschaften aller Wirtschaftszweige auf eine gemeinsame tarifpolitische Interessenverfolgung einigen und die Arbeitskampfführung koordinieren.  Allerdings wäre auch ein Generalstreik in Form totaler Arbeitsniederlegung zur Erreichung tarifpolitischer Ziele unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit als rechtswidrig anzusehen.

Sofern die Gewerkschaft ver.di zur Durchsetzung ihrer Lohnforderungen den öffentlichen Nah- und Fernverkehr blockiert und damit verhindert, dass die Menschen zu ihren Arbeitsplätzen kommen, haben wir es hier de facto mit einem solchen Generalstreik zu tun. Da ver.di in letzter Zeit auch gerne mal zusammen mit politischen Aktivisten auf die Straße geht und Klimastreiks begrüßt, können sachfremde Erwägungen beim Arbeitskampf eine Rolle spielen.

2. Darf der öffentliche Dienst streiken?
Grundsätzlich dürfen Beamte nicht streiken, denn sie werden – idealerweise – vom Staat angemessen versorgt. Der öffentliche Dienst, insbesondere der öffentliche Verkehr wurde jedoch unter Kohl nach der Wiedervereinigung weitgehend privatisiert. Hier streiken keine Beamte, sondern private Angestellte, denen dies selbstverständlich zusteht. Ob die Privatisierung der Infrastruktur auf Dummheit beruhte, oder eine Form von Sabotage war, müssen Historiker beurteilen. Jedenfalls ist klar, dass es heute Probleme gibt, die es früher nicht gegeben hat. Damit meine ich nicht nur die zunehmende Unpünktlichkeit. Es liegt auf der Hand, dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes nicht mit einer solchen Entwicklung gerechnet haben, sonst wäre es geregelt worden.

3. Wer kontrolliert ver.di?
Die Profile des Bundesvorstands lassen insoweit gewisse Rückschlüsse zu: Der Vorsitzende ist Mitglied der GRÜNEN. Ferner gibt es dort noch vier Mitglieder der SPD und eine Dame von der CDU. Lediglich bei drei Personen ist keine Parteimitgliedschaft erwähnt. Rot-Grün hat damit eine 5:4 Majorität. Nebenbei bemerkt, sieht es im Vorstand der mitstreikenden Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG sogar noch eindeutiger aus: 4:0 für die SPD.

 

P.S.: Machen Sie sich klar, welche Wertung hinter § 88 StGB steht. Der öffentliche Verkehr ist ein wichtiges Gut.