Vorab: Ich hatte den folgenden Artikel bereits vor einigen Tagen kurzzeitig veröffentlicht, dann jedoch wieder privat gestellt, weil ich ihn überarbeiten wollte. Mittlerweile hat die LTO das Thema aufgegriffen, so dass sich die Ereignisse in gewisser Weise überholt haben.

Was einen sog. „Verfassungsfeind“ ausmacht, ist eine spannende Frage, die aktuell die gesamte Republik beschäftigt. Dabei ist die Antwort sehr einfach: Es kann überhaupt nur einen möglichen „Verfassungsfeind“ geben, und das ist der Staat selbst, denn er ist der Adressat der Verfassung. Dazu muss man sich klar machen, was eine Verfassung ist. Sie ist ein Schutzbrief für die Bürger vor dem Staat. Mit anderen Worten: Die Verfassung ist eine Sammlung von Spielregeln, an die sich der Staat zu halten hat. Das historische Beispiel ist die englische Magna Charta, auch bekannt als die „große Urkunde der Freiheiten“. Idealtypisch zeigt sich diese Systematik, wenn das Bundesverfassungsgericht Gesetze für verfassungswidrig erklärt.

Spannend wird es, wenn der Staat das Grundgesetz ändert, weil er damit Einfluss auf seine eigenen Spielregeln nimmt. Verfassungsfeindlicher geht es eigentlich nicht. Auf der anderen Seite ist die Änderung im Grundgesetz vorgesehen. Daraus lässt sich ableiten, dass ein Diskurs zur entsprechenden Willensbildung zwingend erlaubt sein muss. Das gesamte Grundgesetz steht damit theoretisch zur Disposition, mit Ausnahme der Art. 1 und 20 GG.

Das Phänomen, um das es in der aktuellen Diskussion geht, ist jedoch ein anderes. Es geht um Bürger, die den Staat in dieser Form abschaffen wollen. Dieses Motiv wird über das Strafrecht erfasst, nämlich als Hochverrat. Der Tatbestand setzt jedoch Gewalt oder Drohung mit derselben voraus. Ein gewaltsamer Umsturzversuch ist seit Gründung der BRD noch nie vorgekommen. Selbst die RAF beging nur Terror, aber keinen Hochverrat. Was allenfalls vorgekommen ist, ist die Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens, zuletzt mutmaßlich durch den Prinzen Heinrich und seine Gefolgschaft, davor durch die sog. „Terror-Oma mit Kartoffelsack“ und ihre Helfershelfer. In beiden Fällen war der Tatplan offenkundig komplett schwachsinnig und stammte vermutlich von V-Leuten, bzw. verdeckten Ermittlern, die diese Ideen in Onlinechatgruppen gepostet hatten (Stichwort: Agent Provocateur).

Damit komme ich zum Verfassungsschutz. Der ist das Ergebnis des Alliierten Polizeibriefs von 1949. Damals wurde es der Bundesregierung „erlaubt“, eine

„Stelle zur Sammlung und Verbreitung von Auskünften über umstürzlerische, gegen die Bundesregierung gerichtete Tätigkeiten einzurichten“.

Der erste Präsident dieser „Stelle“ war der ehemalige britische MI6-Agent Dr. Otto John. Weil Adenauer – vermutlich auf Anraten Gehlens – diesem Braten nicht traute, gab es auch noch einen inoffiziellen Inlandgeheimdienst, in dem überwiegend ehemalige Widerstandskämpfer aus der „Abwehr“ tätig waren, den Friedrich-Wilhelm-Heinz-Dienst. Heinz selbst konnte jedoch mit Hilfe einer Schmierenkampagne diskreditiert werden, so dass diese Organisation an Bedeutung verlor und zuletzt mit dem Verfassungsschutz verschmolzen wurde. Seinen Gegenspieler hat es kurz darauf auch erwischt, wobei immer noch nicht klar ist, wer ihn damals reingelegt hat.

Der strafrechtliche Hebel, mit dem der Verfassungsschutz lange Jahre gearbeitet hat, war § 128 a.F. StGB, die Geheimbündelei. Diese Norm war eine Generalermächtigung zur Bekämpfung von Verschwörungen jeglicher Art. Insoweit gab es auch eine Überscheidung zwischen Verfassungsschutz und BKA. Diese Norm wurde jedoch im Jahre 1968 von der Großen Koalition vom Strafrecht in das Vereinsrecht verschoben und unterliegt seither dem Opportunitätsprinzip, d.h. man kann gegen Geheimbünde vorgehen, muss aber nicht. Der wohl bekannteste Geheimbund sind heutzutage übrigens nicht mehr die Freimaurer, denn die haben ihre Ziele schon längst erreicht (vgl. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte), sondern die Antifa. Parteien können grundsätzlich keine Geheimbünde sein, weil sie offen agieren, es sei denn, sie werden gesteuert. Entsprechende Andeutungen hat Egon Bahr gemacht.

Damit stellt sich die Frage, ob man die BRD, das Grundgesetz und die Freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehnen darf. Gedanklich ist es erlaubt, denn die Gedanken sind frei. Sobald dementsprechend gehandelt wird, kann dies Konsequenzen haben. In der Anfangsphase der BRD, vor Einführung der Volksverhetzung, waren entsprechende Äußerungen durch die Meinungsfreiheit gedeckt, es gab jedoch die Möglichkeit, in bestimmten Fällen (vgl. Art. 18 GG) dieses Grundrecht abzuerkennen. In der Praxis wurde diese Maßnahme zwar vereinzelt angedacht, z.B. bei Major a.D. Otto Remer, aber niemals angewendet.* Seit 1960 reicht besagte Volksverhetzung, um unliebsame Meinungen aus dem Verkehr zu ziehen. Remer wurde später z.B. mehrfach wegen Volksverhetzung verurteilt. Aktuell ist „übliche Verdächtige“ die sog. „Nazi-Oma„, die immer mal wieder für ihre „Weltanschauung“ einsitzen muss.

Abschließend noch einige Erläuterungen zum Parteiverbot: Von 1945-1949 mussten die Parteien in Deutschland von den Alliierten lizensiert werden. Vier Parteien waren in allen Besatzungszonen zugelassen: SPD, CDU, FDP und KPD. Mit Gründung der BRD im Jahre 1949 fiel der Lizenzzwang weg. Damit konnten die Lizenzen natürlich auch nicht mehr entzogen werden. Um diese Lücke zu schließen, enthält das Grundgesetz die Möglichkeit, eine Partei zu verbieten. Wenn eine neue Partei den Anschein erweckt, sie wäre vermutlich nicht von den Alliierten lizensiert worden, z.B. wegen einer Fixierung auf nationale Interessen, steht ein Verbot natürlich immer im Raum. Dies ist eine der seltenen Ausnahmekonstellationen im Öffentlichen Recht, wo in einem kontradiktorischen Verfahren ein Feststellungsurteil gegen eine nichtstaatliche Organisation ergehen kann. Bislang hat es jedoch nur die SRP und die KPD erwischt. Letztere, weil die sog. „Diktatur des Proletariats“ offenkundig nicht mit Art. 20 Abs. 2 GG vereinbar ist. Das naheliegende NPD-Verbot scheiterte zunächst, weil die NPD vom Verfassungsschutz geführt worden war, später wegen politischer Bedeutungslosigkeit.

Damit komme ich zur Beantwortung der Ausgangsfrage: Der „Verfassungsfeind“ ist nicht mehr der Staat, sondern wen der Staat im Wege eines simplen Etikettenschwindels (korrekt wäre der Begriff „Staatsfeind“) dazu erklärt. Dies sind insbesondere Personen, die ein Problem mit der Nachkriegsordnung haben und deshalb politisch aktiv werden. Diese Nachkriegsordnung besagt im Kern, dass Deutschland dauerhaft „fett aber impotent“ bleibt. Der Spiegel, der einst von britischen Offizieren gegründet wurde, hat diese Formulierung netterweise mit „feist aber machtlos“ übersetzt. Der verfassungsrechtliche Hebel, der neuerdings dazu eingesetzt wird, um die Kritik an der altruistisch motivierten sog. „Wertepolitik“ zu diskreditieren, ist die Menschenwürde. Historisch stellte Art. 1 GG als Programmsatz lediglich die Spitze der Normenpyramide dar und wurde durch die restliche Verfassung konkretisiert. Dass Gesetze allein wegen eines Verstoßes gegen Art. 1 GG aufgehoben werden, ist bislang noch nicht vorgekommen. Da jedoch die spezielleren Normen durch besagte Kritik nicht verletzt werden, sah man sich zu dieser Notlösung gezwungen. In der DDR lief es übrigens ähnlich, denn wer dort die Politik des sog. „Demokratischen Blocks“ abgelehnt hat, galt automatisch als anti-demokratisch („Faschist“) und war damit ein Staatsfeind (feindlich-negative Person).

Die DDR war insoweit auch schon einen Schritt weiter, denn dort stand die „Staatsfeindliche Hetze“ im StGB.

§ 106. Staatsfeindliche Hetze.
(1) Wer die verfassungsmäßigen Grundlagen der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung der Deutschen Demokratischen Republik angreift oder gegen sie aufwiegelt, indem er
1. die gesellschaftlichen Verhältnisse, Repräsentanten oder andere Bürger der Deutschen Demokratischen Republik wegen deren staatlicher oder gesellschaftlicher Tätigkeit diskriminiert;
2. Schriften, Gegenstände oder Symbole zur Diskriminierung der gesellschaftlichen Verhältnisse, von Repräsentanten oder anderen Bürgern herstellt, einführt, verbreitet oder anbringt;
3. die Freundschafts- und Bündnisbeziehungen der Deutschen Demokratischen Republik diskriminiert;
4. Verbrechen gegen den Staat androht oder dazu auffordert, Widerstand gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung der Deutschen Demokratischen Republik zu leisten;
5. den Faschismus oder Militarismus verherrlicht oder Rassenhetze treibt, wird mit Freiheitsstrafe von einem bis zu acht Jahren bestraft.
(2) Wer zur Durchführung des Verbrechens mit Organisationen, Einrichtungen oder Personen zusammenwirkt, deren Tätigkeit gegen die Deutsche Demokratische Republik gerichtet ist oder das Verbrechen planmäßig durchführt, wird mit Freiheitsstrafe von zwei bis zu zehn. Jahren bestraft.
(3) Vorbereitung und Versuch sind strafbar.“

 

* Vgl. den sog. „Smith-Act“ zur analogen Situation in den USA.

 

P.S.: Hier haben wir ein schönes Beispiel für die Begrifflichkeiten. Selbst wenn unser Grundgesetz eine Verpflichtung zum „Klimaschutz“ enthält, hat der Gesetzgeber die Wahl der Mittel (sog. Einschätzungsprärogative). Käme er dieser Verpflichtung überhaupt nicht nach, wäre er „Verfassungsfeind“. Bürger, die am demokratischen Prozess vorbei ein staatliches Handeln nach ihren Wünschen erzwingen wollen, sind, wie der Spiegel korrekt titelt, „Staatsfeinde“.