Wer sich mit dem Thema der scheinbar „unlösbaren Testaufgaben“ etwas näher beschäftigt, kommt auf Webseiten, wie diese. Dort wird u.a. darüber philosphiert, warum es diesen Aufgabentyp bei Einstellungstests überhaupt gibt. Folgende Erklärung soll Licht ins Dunkel bringen:

„Weil Ausbildung und Arbeit (zumindest der praktische Teil davon) nicht mehr viel mit Schule zu tun haben. Übersetzt bedeutet das, dass es letztlich nicht mehr darum geht, akribisch genau Rechenwege zu skizzieren und ein Endergebnis en Detail zu präsentieren, sondern es geht vielmehr darum, ein verwertbares Ergebnis zu erhalten, mit dem weitergearbeitet werden kann. Oder anders formuliert: Im Einstellungstest Schätzaufgaben wird getestet, wie gut es um die mathematischen Anwender- und Transferkenntnisse bestellt ist.“

Das stimmt auch zumindest teilweise, weil die schulischen Ergebnisse manipuliert, bzw. die Anforderungen trivialisiert wurden, um Ergebnisgleichheit zu erzeugen. Der eigentliche Grund für scheinbar unlösbare Testaufgaben ist jedoch ein anderer: Man kann nur die Kandidaten bestehen lassen, die man haben möchte. Da bei unlösbaren Testaufgaben – mit Ausnahme von Zufallstreffern – alle Kandidaten durchfallen, bekommt man einen AGG-konformen Ablehnungsgrund auf dem silbernen Tablett geliefert, und kann davon im Einzelfall Ausnahmen machen, z.B. wegen einer „überzeugenden Vorstellung“ beim Gespräch mit dem Psychologen, dessen Expertise nicht anzweifelbar ist. Das beste Beispiel ist der Google-Einstellungstest, der auf wundersame Weise dazu führt, dass Google bei seiner Personalpolitik zumindest signifikante Fortschritte in Richtung der gewünschten Quoten macht.

Im juristischen Examen läuft es ähnlich. Die Teilnehmer werden im 2. Examen mit völlig überzogenen Klausuraufgaben auf einen Schnitt von 5,36 Punkten (= ausreichend) gedrückt – „abrasiert“ passt besser -, was der Prüfungskommission in der mündlichen Prüfung die Möglichkeit eröffnet, das jeweilige Ergebnis durch das Stellen von einfachen oder schwierigen Fragen in die gewünschte Richtung zu manipulieren. Wer die Gunst dieser Götter genießt, kann bisweilen einen Notensprung von bis zu 2,5 Punkten hinlegen. Derweil senkt man in der Justiz schon mal die Einstellungsvoraussetzungen. Um an die samtbesetzte Robe zu kommen, müssen die Bewerber und Bewerberinnen jedoch erst noch einen Test in einem „Assessmentcenter“ bestehen. Dass dort wiederum „unlösbare Aufgaben“ und ein Gespräch mit dem Psychologen auf sie warten, dürfte sich nach diesen Ausführungen von selbst verstehen.

Eine Anekdote aus meiner Examenshausarbeit im 1. Staatsexamen im Strafrecht möchte ich noch anschließen: Der Sachverhalt war ein Zweiteiler. Im ersten Teil ging es um Nötigung im Straßenverkehr. Im zweiten Teil ging es um eine extrem ungewöhnliche Konstellation: Jemand hört im Radio, dass es an einer Kreuzung vermehrt zu Auffahrunfällen kommt. Er fährt deshalb mit seinem Fahrzeug, das einen Heckschaden hatte, so lange über die Kreuzung, bis ihm jemand hinten auffährt. Solch lebensfremde Konstellationen kann sich natürlich nur ein Dezernent im Justizprüfungsamt ausdenken. Anyways, nach einiger Recherche fand ich heraus, dass eine ähnliche Konstellation angeblich in einem über 100 Jahre alten Schinken mit dem Titel „Fälle ohne Lösung“, oder so ähnlich, beschrieben worden sei. Besagtes Werk konnte ich zum Glück in der Deutschen Nationalbibliothek bestellen. Als ich dieses auffällig dünne Büchlein jedoch endlich in den Händen hielt, fand ich die Konstellation dort zwar in der Tat, jedoch unternahm der Verfasser noch nicht mal einen Lösungsversuch. Das ganze Buch bestand ausschließlich aus der Aufzählung solcher Fallkonstellationen. Super! Ich habe dann im Ergebnis irgendwas zum Gesinnungsstrafrecht geschrieben und gehofft, dass der Korrektor nickt. Da es am Ende ein Prädikatsexamen wurde, habe ich mir auch nicht mehr die Mühe gemacht, Einsicht in die Korrektur zu nehmen. Selbst Jahre später habe ich mich jedoch immer mal wieder gefragt, was dazu wohl in der Musterlösung stand. Dass es straflos ist, müsste eigentlich klar sein, denn sonst hätten solche Fälle  – zumindest de lege ferenda – auch eine Lösung.

Die Aufklärung findet sich in einem orbiter dictum des BGH: Die Konstellation wurde in der sog. „Blinker-Entscheidung“ besprochen, von der ich damals leider keine Kenntnis hatte, was vermutlich auch daran lag, dass sie erst eine Woche nach meinem Examen erging.

„Wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315 b Abs. 1 StGB macht sich nicht strafbar, wer sich in jeder Hinsicht verkehrsgerecht verhält und dies mit der Hoffnung verbindet, daß ihm ein Unfall Gelegenheit zu einer vorteilhaften Schadensabrechnung mit der gegnerischen Haftpflichtversicherung bietet. Das gilt auch dann, wenn der Verkehrsteilnehmer das Unfallereignis billigend in Kauf nimmt. Die bloße Hoffnung auf einen Verkehrsunfall wie auch die billigende Inkaufnahme eines drohenden Unfalls mögen verwerflich sein. Aus dem verkehrsordnungsgemäßen Fahrverhalten wird auf diese Weise aber kein unerlaubter Eingriff in die Sicherheit des Straßenverkehrs. Eine Bestrafung nach § 315 b StGB liefe darauf hinaus. daß schon die böse Gesinnung geahndet würde.“

Damit ist die Story jedoch noch nicht beendet, denn der „Blinker-Fall“, das unerwartet scharfe Abbremsen zum Herbeiführen eines Unfalls, lief 2007 als Klausur S1-161 im 2. Staatsexamen in NRW, und führte zu einer „deutlich überdurchschnittlichen“ Durchfallquote. Gratulation an den Dezernenten. Während sich in dem amerikanischen Spielfilm „Ist das Leben nicht schön?“ ein Engel seine Flügel verdient, verdienen sich die Dezernenten beim JPA in der Regel ihre Ernennung zum Richter am OLG. Die Erkenntnis lautet: Niemand kann seine Karriere aus eigener Kraft erzwingen. Man wird ausgewählt.