Nachdem der Verfassungsschutz jüngst wegen der Sammlung von strafrechtlich zulässigen Meinungsäußerungen in Kritik geraten ist, hat der Präsident nun öffentlich Stellung bezogen und die Vorgehensweise seiner Behörde verteidigt. Eigentlich wäre dies die Aufgabe der Innenministerin gewesen, aber egal. Die Kernaussage lautet, dass es verfassungsschutzrelevante Äußerungen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze gäbe. Auf den ersten Blick ist das nicht ungewöhnlich, denn die Prävention von Straftaten erfolgt natürlich auch, bevor es zur Straftat kommt. Kritisch wird die Geschichte erst, wenn damit der demokratische Diskurs eingeschränkt wird. Es muss der Opposition erlaubt sein, auf die Fehler der Regierung hinzuweisen, andernfalls kann der Wähler seine Entscheidung nur auf Basis Regierungsnarrative und der bisweilen regierungsnah wirkenden Medien treffen. Wahlkampf wäre ad absurdum geführt.

Die eigentliche Problematik liegt jedoch viel tiefer. Dazu muss man sich zunächst klarmachen, was der Verfassungsschutz eigentlich ist. Die Geschichte des BfV beginnt mit dem Polizeibrief der Alliierten im Jahre 1949. Dort steht:

Der Bundesregierung wird es ebenfalls gestattet, eine Stelle zur Sammlung und Verbreitung von Auskünften über umstürzlerische, gegen die Bundesregierung gerichtete Tätigkeiten einzurichten. Diese Stelle soll keine Polizeibefugnis haben.

Das Ergebnis ist das Bundesamt für Verfassungsschutz*, dessen erster Präsident Dr. Otto John im 2. Weltkrieg für den britischen MI6 gearbeitet hatte. Angeblich war er sogar direkt in das Attentat auf Hitler vom 20. Juni 1944 verwickelt (= bester Mann). Die Zuständigkeit des BfV wurde in § 3 Abs. 1 des Gesetzes zur Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes von 27. September 1959 wie folgt festgelegt:

Die Aufgabe des Bundesamts für Verfassungsschutz und der nach § 2 Abs. 2 bestimmten Behörden ist die Sammlung und Auswertung von Auskünften, Nachriten und sonstigen Unterlagen über Bestrebungen, die eine Aufhebung, Änderung oder Störung der verfassungsmäßigen Ordnung im Bund oder in einem Land oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern verfassungsmäßiger Organe des Bundes oder eines Landes zum Ziele haben.

Diese Norm ist nur in der Zusammenschau mit Art. 146 GG zu verstehen.

Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.

Dort ist die Rede von einer (anderen) Verfassung, die das gesamte deutsche Volk in freier Entscheidung beschlossen hat. Dieser Tag sollte nach dem Willen der Siegermächte niemals kommen, denn Deutschland sollte dauerhaft geteilt bleiben (= Rückabwicklung der Reichsgründung von 1871). Der Verfassungsschutz schützt somit in erster Linie das Grundgesetz vor einer anderen Verfassung. Dazu ist erforderlich, zu verhindern, dass es jemals zu dieser freien Entscheidung des wiedervereinigten deutschen Volkes kommen kann. Mit anderen Worten, es darf in der BRD keine Partei an die Regierung kommen, die nicht ursprünglich von Alliierten lizensiert war, bzw. nach Wegfall der Lizenzpflicht im Jahre 1949 nicht die Voraussetzungen erfüllen würde. Die einzige Partei, die diese Hürde in der BRD überspringen konnte, waren die Grünen, die das linksradikale Spektrum anstelle der 1956 verbotenen KPD abdecken durften. Der Versuch mit der DKP war bekanntlich gescheitert. Dass die SED/Linke nach der Wiedervereinigung hinzukam, ändert daran nichts.

Mittlerweile sieht § 3 Abs. 1 BVerfSchG wie folgt aus:

(1) Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, über

1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben,
2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich dieses Gesetzes für eine fremde Macht,
3. Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
4. Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind.

Der stark interpretationsbedürftige wirkende Abs. 1 Nr. 4 zum Schutz des „Gedankens der Völkerverständigung“ kam übrigens im Jahre 2002 kam mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz hinzu. Unter „Völkerverständigung“ verstand die Reichsregierung in der Weimarer Republik u.a. den Versailler Vertrag und die Entscheidungen des Völkerbundes. Heute kann man darunter die Mitgliedschaft in der EU und den UN verstehen. Mit dieser erweiterten Zuständigkeit wurde das BfV de facto zu einem politischen Geheimdienst umfunktioniert, der jegliche Kritik an den deutschen Verpflichtungen bekämpfen soll. Im Übrigen wird dadurch als politisch erwünschter Nebeneffekt auch noch der internationale Sozialismus geschützt. Natürlich stammt die Norm von der SPD.

Mit anderen Worten: Rechts-konservative EU-kritische Parteien, die sich nicht dem internationalen Sozialismus verschrieben haben, bekommen Probleme. Sobald der Eindruck entsteht, sie wollten die BRD rückabwickeln und damit de facto den Sieg der Alliierten im 2. Weltkrieg annullieren, ist die Party vorbei. Dabei ist jedes Mittel recht, auch Mittel, die verfassungsmäßig bedenklich erscheinen. Das Grundgesetz hält insoweit in Art. 139 explizit eine Lücke bereit.

 

* Auf den Friedrich-Wilhelm-Heinz-Dienst, der aus Mitgliedern der ehemaligen „Abwehr“ bestand, soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden.