Die LTO berichtet über den Fall eines heutigen Elektriker-Azubis, der zuvor als Anwalt in einer sog. „Großkanzlei“ tätig war, obwohl er sein Jurastudium nach wenigen Semestern abgebrochen hatte. Natürlich stellt sie die Frage, wieso der Hochstabler nicht sofort aufgeflogen ist. Es ist im Übrigen nicht der einzige Fall dieser Art. Hochstapler mit gefälschten Examenszeugnissen kommen hin und wieder vor, z.B. hier. Die Frage ist bleibt jedoch immer dieselbe.

In diesem Zusammenhang ist auf dem weltberühmten Gert Postel zu erinnern, einen Postboten der jahrelang als Oberarzt in der Psychiatrie arbeitete und u.a. als Prüfer tätig war und Gutachten für Gerichte erstellte. Auch beim ihm stellte sich natürlich die Frage, wieso das nicht sofort aufgefallen ist. In seinem Fall war die Erklärung eine Mischung aus Anscheinsvermutung und Selbstschutz, in Form von der Angst, sich durch Kritik möglicherweise selbst als inkompetent zu outen. Die Psychiatrie ist für Hochstapler besonders gut geeignet, weil man von ihr keine Ergebnisse erwartet. Da bezüglich der Heilung von Verrückten keine Erwartungshaltung besteht, muss man auch keiner gerecht werden. Die These Gert Postels, dass er in der Psychiatrie nur ein Hochstapler unter vielen war, teile ich nicht, obwohl ich diese Aussage für durchaus bemerkenswert halte.

Grundsätzlich anders sieht es mit der Erwartungshaltung bei Anwälten aus. Insbesondere in Großkanzleien stehen sie unter massivem Erwartungsdruck. Um den Druck ein wenig abzufedern, ist der Maßstab typischerweise nicht der Erfolg, sondern die Mandantenzufriedenheit. Diese erreicht man durch eine gute Show, dem Ausstrahlen von Kompetenz, Freundlichkeit und dem Anschein von maximaler Bemühung. Mit anderen Worten: Mehr Schein, als Sein.

Nichts desto trotz müsste es doch sofort auffallen, wenn ein junger Anwalt frisch aus dem Referendariat kommt, aber keine Ahnung von Jura hat. Falsch!

Gerade in Jura besteht ein gewaltiger Unterschied zwischen Theorie und Praxis. In der Theorie natürlich nicht, aber in der Praxis schon. Im Jurastudium beschäftigt man sich mit Denksportaufgaben zu absurden Freak-Konstellationen, die so entweder noch gar nicht, oder allenfalls in den letzten 100 Jahren gerade einmal vorgekommen sind. Mit der anwaltlichen Tätigkeit in einer Großkanzlei hat dieser Käse nicht das Geringste zu tun. Mit anderen Worten: Die Anwaltsanfänger, die sog. „Associates“, fangen dort bei Null an und werden von den erfahrenen Kollegen langsam an die Tätigkeiten herangeführt. Zitat:

„Berufsanfänger würden sich zwar im Recht auskennen, für ihren Einsatz im Immobilienrecht müssten sie aber ohnehin einen Crashkurs durchlaufen, dicke Reader durcharbeiten, erklärt der Partner. Diese Juristen arbeiteten zunächst im Hintergrund, prüften Mietverträge, erstellten Memos für große Investorengeschäfte. Kontakt zu Mandanten oder eigene Endverantwortung hätten sie nicht. Die Prüfung von Mietverträgen für sogenannte Due-Diligence-Verfahren sei ein rechtlich überschaubarer Bereich. „Wenn Sie das mal drei Monate gemacht haben, kennen Sie sich aus“, schildert der Partner. G kam zurecht, tippte in Excel-Tabellen, recherchierte selbst in Datenbanken. Wo es juristisch knapp wurde, fragte er seinen Mentor, den Notar, und ließ wohl auch Wissenschaftliche Mitarbeiter zuarbeiten.“

Dass er nicht wegen Inkompetenz aufgeflogen ist, sondern durch das ungewöhnliche Prüfungsdatum (Pfingstmontag) auf seinem Examenszeugnis, sagt bereits alles. „Fake it until you make it“ wird zur realen Handlungsoption, wenn den Job im Prinzip jeder machen kann. Der Fall ist nun schon zum zweiten mal vor Gericht, weil man sich über die Rechtsfrage streitet, ob dies wirklich als Betrug strafbar ist. Darüber entscheiden natürlich echte Juristen, denen man auf einem Originalzettel bescheinigt hat, dass sie dazu wirklich geeignet sind. Dies wiederum erinnert entfernt an „Der Vertrag“ von Ludwig Thoma:

„Der königliche Landgerichtsrat Alois Eschenberger war ein guter Jurist und auch sonst von mäßigem Verstande. Er kümmerte sich nicht um das Wesen der Dinge, sondern ausschließlich darum, unter welchen rechtlichen Begriff dieselben zu subsummieren waren. Eine Lokomotive war ihm weiter nichts als eine bewegliche Sache, welche nach bayrischem Landrechte auch ohne notarielle Beurkundung veräußert werden konnte, und für die Elektricität interessierte er sich zum ersten male, als er dieser modernen Erfindung in den Blättern für Rechtsanwendung begegnete und sah, daß die Ableitung des elektrischen Stromes den Thatbestand des Diebstahlsparagraphen erfüllen könne. Er war Junggeselle. Als Rechtspraktikant hatte er einmal die Absicht gehegt, den Ehekontrakt einzugehen, weil das von ihm ins Auge gefaßte Frauenzimmer nicht unbemittelt war, und da überdies die Ehelosigkeit schon in der lex Papia Poppaea de maritandis ordinibus ausdrücklich mißbilligt erschien. Allein der Versuch war mit untauglichen Mitteln unternommen; das Mädchen mochte nicht; ihr Willenskonsens ermangelte und so wurde der Vertrag nicht perfekt. Alois Eschenberger hielt sich von da ab das weibliche Geschlecht vom Leibe und widmete sich ganz den Studien. Er bekam im Staatsexamen einen Brucheinser und damit für jede Dummheit einen Freibrief im rechtsrheinischen Bayern.“