Das Problem der Selbstzensur, die aufgrund der Richtline 12.1 des Pressekodex betrieben wird, ist auf den ersten Blick die Beförderung von Vorurteilen. Wenn sie im Zusammenhang mit dem Vorfall in Dänemark von einem „22-jährigen Dänen“ lesen, denken die meisten Leser auf Anhieb:

  • Er hat wahrscheinlich Migrationshintergrund, sonst hätte man seinen Vornamen genannt
  • Er ist wahrscheinlich psychisch gestört
  • Es war ein wahrscheinlich ein Amoklauf

Ob das am Ende der Wahrheit entspricht – die BILD-Zeitung berichtet von einem „ethnischen Dänen“ – ist völlig egal. Die Reaktion ist konditioniert, und zwar in beide Richtungen, denn wenn ein Täter als ethnischer Däne beschrieben wird, denken die meisten Leser natürlich sofort:

  • Er ist wahrscheinlich ein Rechtsextremer
  • Die Schuldfähigkeit spielt bei der Beurteilung wahrscheinlich keine Rolle
  • Es war wahrscheinlich ein Terroranschlag

In Dänemark wird derweil berichtet, dass der junge Mann 22-Jährige bereits polizeibekannt war, aber nur „am Rande„.

Es ist wie ein Nebel, in dem man herumstochert. Durch das vorläufige Zurückhalten der Täterbeschreibung wird jedoch ein wichtiges Ziel erreicht: Es wird verhindert, dass ein wütender Mob durch die Straßen zieht und Lynchjustiz betreibt. Diese Form der Desinformation ist auch kein typisch deutsches Phänomen, obwohl die entsprechende Richtlinie im deutschen Pressekodex auf die Vergewaltigung deutscher Frauen durch amerikanische Soldaten zurückgeht, sondern sie wird mittlerweile in der gesamten EU ähnlich gehandhabt. Die Berichterstattung ist in Dänemark nicht anders, als in Deutschland.

 

Nachtrag: Für die offenbar geschlechtsbezogene Auswahl der Fotos im Artikel der BBC habe ich allerdings keine Erklärung. Die armen Frauen.

Update (18.07.2022): Selbst zwei Wochen später gibt es keine Neuigkeiten. Der Fall ist komplett aus den Medien verschwunden.