Jüngst hat das Bundesverfassungsgericht dem umstrittenen Journalisten Julian R. Recht gegeben und eine einstweilige Anordnung des KG Berlin kassiert. Diese Entscheidung ist aus zwei Gründen interessant. Zum einen hat sich das BVerfG darin zur Superrevisionsinstanz aufgeschwungen, zum anderen hat es dem Staat eine schützenswerte Ehre – zumindest grundsätzlich – abgesprochen. Zwei absolute Knaller in einem Beschluss sind selten.

Zur Ehre des Staates führt das Bundesverfassungsgericht aus:

Dem Staat kommt kein grundrechtlich fundierter Ehrenschutz zu. Während in Fällen, in denen sich die Meinungsfreiheit des Äußernden und das allgemeine Persönlichkeitsrecht des von der Äußerung Betroffenen gegenüberstehen, die Feststellung einer rechtswidrigen Verletzung regelmäßig eine ordnungsgemäße Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Äußerung einerseits und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch die Untersagung der Äußerung andererseits voraussetzt (vgl. BVerfGE 61, 1 <8 ff.>; 85, 1 <14 ff.>; 93, 266 <293 ff.>; 99, 185 <196 ff.>; 114, 339 <348>; 152, 152 <186 f. Rn. 80 f.>), hat der Staat grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik auszuhalten. Die Zulässigkeit von Kritik am System ist Teil des Grundrechtestaats (vgl. BVerfGE 93, 266 <292 f.>; Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 15. September 2008 – 1 BvR 1565/05 -, Rn. 13; vom 28. November 2009 – 1 BvR 917/09 -, Rn. 24).

Wie man sieht, fällt diese Wertung vom Himmel und wird ausschließlich durch Eigenzitate belegt. Das Bundesverfassungsgericht hat quasi vom Baum Erkenntnis gegessen und weiß daher selbst, was Gut und Böse ist. Wer Letztentscheider ist, muss sich für seine Letztbegründungen nicht rechtfertigen.

Man hätte es auch anders machen können, aber das wäre vermutlich ein wenig zu aufschlussreich gewesen. Die Behauptung, dass der deutsche Staat grundsätzlich keine schützenswerte Ehre besitze, basiert auf dem Selbstverständnis der BRD als Gegenmodell zum Faschismus. Im Faschismus besaß der Staat – nach damals herrschender Ansicht – nämlich sehr wohl eine Ehre, weil er einen lebenden Organismus im Sinne eines Leviathans darstellte.

 

 

Der deutsche Leviathan ist am 8. Mai 1945 ums Leben gekommen. Die postmortale Ehre wurde ihm bekanntlich abgesprochen. Diese Wertung galt in der Besatzungszeit für das Nation Building der Alliierten, mit dem zwei neue Staatskörper geschaffen wurden, während der beschränkten Souveränität beider deutscher Staaten bis zum 2+4 Vertrag und auch für den Zeitraum von der Wiedervereinigung bis heute. Nicht nur der deutsche Gesamtstaat genießt keinen Ehrschutz, auch „die Deutschen“ selbst genießen – zumindest nach Ansicht der Rechtsprechung – keinen Ehrschutz. Ihnen wird damit zugleich die Fähigkeit abgesprochen, einen Leviathan zu bilden. Dies ist die Grundvoraussetzung für eine Demokratie, aus Sicht des Leviathans wäre es geisteskrank.