Heute morgen wurde in der ZDF-Doku „Zeitreise – Die Welt im Jahr 1800“ behauptet, die französche Königin Marie Antoniette habe ihren berühmten Satz, „Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen„, niemals gesagt. Das ist durchaus bemerkenswert, denn woher wissen die Historiker das eigentlich so genau? Eines ist zumindest sicher: Sie selbst waren nicht dabei.

Die WELT hat sich dieser Behauptung im Jahre 2011 angenommen und quasi den Faktenchecker gespielt. Verräterisch ist dabei folgende Formulierung:

„Erst in den letzten Jahren haben Autoren für sie [Marie Antoniette] gesprochen, gerade Antonia Frasers Biografie von 2002 hat für historische Gerechtigkeit gesorgt.“

Diesen Umstand kann man auch anders interpretieren: Erst in den letzten Jahren wurde versucht, ihr Image reinzuwaschen.

Wie sieht es mit der Beweislage aus? Jeder Physiker weiß spätestens seit Heisenberg, dass man in nichts mit absoluter Sicherheit beweisen kann. In der Justiz ist der Maßstab daher die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Als Beweismittel sind grundsätzlich anerkannt:

  • Urkunden
  • Zeugen
  • Sachverständige
  • Augenschein

Die meisten Vorgänge des täglichen sind jedoch nachträglich nicht mehr gerichtsfest zu beweisen. Der folgende Dialog aus „The Cheap Detective“ mit Peter Falk führt dieses Problem ad absurdum:

Inspector: „Floyd Merkle was killed at 10:17 tonight. Where were you?“
Lou Peckinpaugh: „I was home in bed. I got up around 10:15, and I went into the John [Toilette]. I got out around 10:20.“
Inspector: „Anybody see you go in the bathroom?“
Lou Peckinpaugh: „Yeah, seven or eight people. They came in to watch me one at a time. I got their names and addresses written on a pad.“

Wie sieht die Beweislage bei Marie Antoniette aus? Urkunden haben wir keine. Die Zeugen sind tot. Eine Augenscheinnahme (sinnliche Wahrnehmung) ist nachträglich nicht mehr möglich. Man beruft sich jedoch auf Lady Antonia Fraser als Sachverständige. Es handelt sich bei ihr um eine Dame aus der britischen High Society, die laut der deutschen Wikipedia eine anerkannte Historikerin sei, in der englischen Version steht davon übrigens nichts, und offenbar gerne, neben vielen anderen Dingen, Biographien über historische Persönlichkeiten schreibt.

Was wird diese Sachverständige wohl festgestellt haben? Wir können es mit Sicherheit sagen, obwohl wir ihr Buch nicht kennen. Sie wird sinngemäß geschrieben haben: Die Zeugen sind tot, eine Augenscheinnahme ist nicht mehr möglich, und Rousseaus Einlassung ist, weil Zeuge vom Hörensagen, nach britischem Beweisrecht unbeachtlich. Damit fehlt es an Beweisen. Die WELT präsentiert das Ergebnis wie folgt:

„Auch der Kuchen-Spruch ist nachweislich nicht ihr zuzuschreiben. Es fehlt jeglicher Beleg, wann Marie Antoinette es zu wem gesagt haben könnte.“

Sobald wir uns zum Beweis oder Nichtbeweis historischer Vorgänge auf Sachverständige stützen, deren Glaubwürdigkeit allein auf ihrer Eigenschaft als „anerkannter“ Autorität beruht (= Zirkelschluss), können wir alles und nichts beweisen. Merke: Das Orakel von Delphi war auch als Autorität anerkannt.

Hat sie es nun gesagt, oder hat sie es nicht gesagt? Das können wir nicht mehr feststellen. Die Information ist verloren. Auf diesem Umstand basiert auch das Geschäftsmodell der Sachverständigen. Sie findet zu einer Behauptung keine Belege, und stellt fest, dass es keine Belege mehr gibt. Entscheidend ist dabei, dass das kollektive Gedächtnis nicht zählt. So lassen sich historische Tatsachen auslöschen, von denen alle damals noch lebenden Zeitzeugen wussten, dass sie wahr sind. Mit ihnen stirbt das letzte offiziell anerkannte Beweismittel und die anerkannten Sachverständigen erlangen die Herrschaft.

Ein relativ aktuelles Beispiel aus Deutschland sind die sog. „Trümmerfrauen„. Der Tod der meisten Zeitzeugen ermöglichte den Versuch einer einzigen Sachverständigen, deren Geschichte umzuschreiben. Ihre These lautet: Frauen räumten nur einen Bruchteil der Trümmer, den Großteil erledigten Männer und Maschinen. Die Frauen machten das nicht freiwillig, und es waren auch nur sehr wenige von ihnen, vor allem in Berlin und in der sowjetischen Besatzungszone damit beschäftigt. Diese These ist jedoch eine Kombination aus Strohmann-Argument und Rosinenpicken. Zum einen hat niemand ernsthaft behauptet, Frauen hätten alle Trümmer weggeräumt. Zum anderen geschah es offenkundig in Berlin und der SBZ, so dass sie sich den Westen als Rosine rausgepickt hat, weil dort vermutlich kaum noch Quellen existieren, die sich nicht diskreditieren lassen. Die Sensation aus damaliger Sicht war im Übrigen, dass Frauen überhaupt für körperliche Arbeit eingesetzt wurden, weil es nicht dem damaligen Frauenbild entsprach. Noch ist es ein Versuch der Sachverständigen, aber ihre Studie wurde bereits von der Propaganda aufgegriffen und ihre Thesen entsprechend multipliziert (hier, hier, hier, hier, hier, und hier). Eines Tages werden die Trümmerfrauen aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht sein und die Filmaufnahmen aus Youtube verschwinden.