Das Erzbistum Köln muss einen Missbrauchsopfer Schmerzensgeld in Höhe von 300.000 Euro zahlen. Ein Experte spricht bereits von einer „Zäsur in der Justizgeschichte“. Damit könnte er zumindest teilweise richtig liegen, weil es sich bei dem Thema aus historischen Gründen um ein Tabu handelt. Ich behaupte, die Beklagte war im offenkundig vergeblichen Bestreben, ohne größeren Imageverlust aus der Sache rauszukommen, einfach zu freundlich.
Zunächst fällt ein handwerkliches Detail auf: Beantragt waren 750.000 Euro, bekommen hat der Kläger 300.000 Euro. Das heißt nach Adam Riese, dass er zu 60% unterlegen ist und insoweit auch auf den Kosten des Zivilverfahrens sitzen bleibt. Aufgrund der degressiven Kostenstaffelung im deutschen Zivilprozess ist dies zwar ärgerlich, jedoch kein Weltuntergang. Für das gerichtliche Verfahren wirft der Prozesskostenrechner Kosten in Höhe von ca. 40.500 € aus. Demnach wurden durch den optimistischen Klageantrag ca. 24.300 Euro in den Sand gesetzt. Dafür hat der Anwalt unter dem Strich 5.000 Euro mehr abgerechnet. Dies natürlich alles ohne Gewähr, da mir der Antrag nicht vorliegt. Vielleicht war auch alles ok, und das Prozessrisiko schlug zu.
In der Sache stellt sich natürlich das Problem der Beweisführung, denn die Vorfälle sollen sich in den 70er Jahren ereignet haben. Der Täter ist bereits verstorben. Offenbar ist es dem Kläger gelungen, das Gericht zweifelsfrei von seinem Vortrag zu überzeugen. Wie ihm dies gelungen ist, ich tippe mal sehr stark auf § 448 ZPO, wird sich zeigen, sobald die schriftliche Urteilsbegründung vorliegt. Eine bemitleidenswerte Geschichte zu erzählen, klappt zwar bisweilen in den USA, insbesondere wenn der vermeintliche Täter prominent ist, reicht jedoch in Deutschland für einen Prozesserfolg eher selten. Das ist auch nicht verwunderlich, weil ansonsten dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet wird. Wer vor 50 Jahren Ministrant bei einem Priester war, der nachträglich in Verruf geraten ist, hätte quasi ein Freilos gezogen. Selbst die Strafbarkeit des Meineids schreckt heutzutage nicht mehr ab, denn eine Vereidigung findet praktisch nicht mehr statt. Auch ein versuchter Prozessbetrug wird sich nur schwer lassen, weil im Zweifel der Zweifelssatz greift. Die Konstellation ist zwar kein komplettes Freilos, weil man bei Misserfolg auf massiven Prozesskosten sitzen bleibt, aber zumindest eine gute Wette mit verlockenden 10:1 Odds.
Um das alles nochmal einzuordnen: Was den Opfern an Leid widerfahren ist, ist tragisch. Daran besteht kein Zweifel. Nach über 50 Jahren einen solchen Fall aufzurollen, birgt jedoch massive Gefahren, sowohl für den Rechtsfrieden, als auch für das Vermögen der Kirche. Dass die Prozessvertreter der Beklagten auf den Einwand der Verjährung verzichtet haben, mag zwar freundlich gewesen sein, vielleicht hat man sich auch nur massiv verspekuliert, aber faktisch hat man die Büchse der Pandora geöffnet. Selbst wenn man nur die weitere Entwicklung abwarten wollte, entsteht damit eine Selbstbindung.