Am Amtsgericht Tiergarten wird gerade unter großer medialer Beobachtung ein Strafverfahren gegen Mitglieder der Endzeitsekte „Letzte Generation“ verhandelt. Dabei hat nun der Richter durch bemerkenswerte Aussagen für Schlagzeilen gesorgt und damit bewusst oder unbewusst Vorschub für einen Befangenheitsantrag der Verteidigung geleistet.

Um diesen Vorgang einordnen zu können muss man sich die Ausgangslage vor Augen führen. In Deutschland existiert das Prinzip des „gesetzlichen Richters„. Um der Gefahr von Sondertribunalen vorzubeugen, ist aufgrund von Zuständigkeiten und Verteilungsplänen von Anfang an klar, bei welchem Gericht und bei welchem Richter die Akte auf dem Tisch landen wird. Eine kleine Stellschraube hat die Staatsanwaltschaft noch, denn sie kann in Fällen von besonderer Bedeutung gem. § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG die Anklage statt beim Amtsgericht auch beim Landgericht erheben und damit erreichen, dass der BGH die Revisionsinstanz ist, aber das ist hier offenkundig nicht geschehen.

Stellen Sie sich vor, Sie sind der gesetzliche Richter und haben nun diese hässliche Akte auf dem Tisch, aber keine Lust den Fall den zu entscheiden. Das kann ja mal vorkommen, denn Richter sind nach herrschender Meinung auch nur Menschen. Es kann dafür auch durchaus eine praktische Motivation bestehen, denn üblicherweise werden Fälle am Amtsgericht auf der Tatsachenebene gelöst: Der Sachverhalt wird ganz einfach so festgestellt, dass es keine dogmatischen Probleme gibt. Das hat auch den Vorteil, dass sich das Urteil hinterher leichter schreiben lässt. Der Richter gewinnt aufgrund seiner Erfahrung und seiner überragenden Menschenkenntnis die Überzeugung, dass es genau so gewesen ist, wie in der Anklageschrift beschrieben, und fertig.

Dieser Weg ist im Fall der sog. „Klimakleber“ leider versperrt, denn hier geht es nur um Dogmatik. Tatbestand und Rechtswidrigkeit sind geschenkt. Einzig fraglich ist die Schuldebene, und dort ganz konkret der entschuldigende Notstand. Das heißt, unser Richter müsste zur Entscheidungsfindung tief in die juristische Dogmatik einsteigen, Rechtsprechung recherchieren, die in der Praxis völlig belanglosen Gegenargumente der Literatur abbügeln, im Prinzip all das, was er zuletzt in der Hausarbeit für den kleinen Schein im Strafrecht im Grundstudium gemacht hat. Das hat schon damals keinen Spaß gemacht.

Doch halt, es gibt einen Trick! Vielleicht wird ja ein erfolgreicher Befangenheitsantrag gestellt. Dafür reicht aus, sich in der Hauptverhandlung ein bisschen ungeschickt zu verhalten, zumindest ungeschickt genug, damit es auch der Dümmste merkt. Dann wäre der Richter diesen Fall los. Ich unterstelle ihm diesen Gedankengang natürlich nicht, aber eine Restchance dürfte immer bestehen, denn Richter sind nach herrschender Meinung auch nur Menschen.

Update (24.02.2023): Der neuste Vorfall in einem Berliner Parallelverfahren bringt noch eine weitere juristische Problematik zum Vorschein, ob die Angst vor dem Klimawandel eine krankhafte seelische Störung im Sinne von § 20 StGB darstellen kann. Vielleicht ist es kein Fall für die Strafjustiz, sondern für die Psychiatrie. Wenn der Angeklagte behauptet, er könne nicht anders, könnte man gem. § 244 Abs. 2 StPO eine psychiatrische Begutachtung anordnen.