Ein interessanter Fall hat sich in der beschaulichen Schweiz ereignet: Sechs mit Sturmgewehren bewaffnete und als Polizisten verkleidete Einbrecher sind nachts in ein Waffengeschäft eingedrungen. Als der Ladenbesitzer einen der Einbrecher vor seinem Schlafzimmerfenster wahrnahm, der eine Alarmanlage ausschalten wollte, eröffnete er das Feuer und schlug die Einbrecher in die Flucht (nach Frankreich). Nun muss sich der Ladenbesitzer wegen mehrfacher versuchter vorsätzlicher Tötung vor Gericht verantworten. Laut der Staatsanwaltschaft hatte die Polizei bereits mehrere Wochen vor dem Ereignis aufgrund ähnlicher Einbruchsfälle in der Region das Gespräch mit ihm gesucht.

Die Rechtslage in der Schweiz entspricht – wenig überraschend – in etwa der Rechtslage in Deutschland. Es geht im Wesentlichen um die Frage, ob der Angeklagte aus Notwehr gehandelt hat. Wenn man dazu einen normalen Bürger von der Straße befragt, wird er dies mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bejahen. Das ist auch der Grund, warum die Schwurgerichte abgeschafft wurden, denn vernünftige nachvollziehbare Entscheidungen treffen, kann jeder. Dazu braucht meine Richter. Um die Welt durch völlig absurde Entscheidungen auf den Kopf zu stellen, benötigt man ein Jurastudium.

Wie prüfen deutsche Juristen einen solchen Fall?

Da es offenbar nicht zur Vollendung kam, prüft man die versuchte Tötung gem. §§ 212, 22, 23 StGB. Der Angeklagte müsste Tatentschluss zur Tötung eines Menschen gehabt haben. An dieser Stelle könnte man bereits ansetzen, denn vielleicht wollte der Angeklagte seine „Opfer“ auch nur kampfunfähig machen. Aus didaktischen Gründen bejahen wir hier jedoch den Tötungsvorsatz, sonst wäre die Prüfung bereits an dieser Stelle beendet. Als Nächstes müsste der Angeklagte unmittelbar zur Tatverwirklichung angesetzt haben, d.h. die Schwelle zum „Jetzt geht’s los“ müsste überschritten sein. Das ist hier unproblematisch, denn er hat geschossen. Damit wäre der Tatbestand erfüllt. Die Tat könnte jedoch gerechtfertigt gewesen sein, wegen Notwehr gem. § 32 StGB. Dazu müsste eine Notwehrlage bestanden haben. Darunter versteht man einen Angriff auf ein geschütztes Rechtsgut (Leib, Leben, Eigentum, Rechtsordnung, etc.). Dieser Angriff liegt hier in dem versuchten Einbruchsdelikt durch die „Opfer“. Als Nächstes stellt sich die Frage, ob das Erschießen als Notwehrhandlung geeignet, erforderlich und angemessen war, um den Angriff zu beenden. Die Tötung der Angreifer war dazu als Ultima Ratio mit Sicherheit geeignet. Ob sie erforderlich war, hängt davon ab, ob es ein milderes Mittel gab. Der Angeklagte hätte z.B. auch das Gespräch suchen können: Hallo Jungs, was ihr da macht, finde ich gar nicht gut. Verlasst bitte sofort meine Wohnung. Im Übrigen habt ihr euch strafbar gemacht.

 

 

Gut, das hätte er sicherlich versuchen können, aber es wäre bestimmt nicht so effektiv gewesen und möglicherweise auch mit gewissen Risiken behaftet gewesen. Wer sich nicht lächerlich machen will, bejaht die Erforderlichkeit. Damit kommen wir zum entscheidenden Prüfungspunkt: Die Angemessenheit. Wurde hier mit Kanonen auf Spatzen geschossen? Nein, es wurde mit Kanonen auf Schurken geschossen. Schurken sind keine Spatzen. Prüfung beendet. Leider geht es in der Praxis nicht ganz so leicht, obwohl diese Argumentation den Kern der Sache trifft. Erforderlich ist vielmehr ein 20-seitiger Themenaufsatz, der die üblichen unter Experten gebräuchlichen Textbausteine enthält, die man heutzutage glücklicherweise mit cut&paste aus den entsprechenden BGH-Urteilen übernehmen kann. Ein solcher Themenaufsatz wird derzeit noch nicht von ChatGPT geschrieben, sondern immer noch von Richtern, genauer von Richter:innen, denn die Justiz wird zunehmend weiblicher. Verbrechen ist und bleibt jedoch weiterhin Männersache. Was diese Richter:innen aus dem Fall machen werden, kann man nicht mit letzter Sicherheit vorhersagen. Meine Prognose ist ein Freispruch, ggf. wegen § 33 StGB.

An dieser Stelle ist auch noch ein berühmter Fall aus Deutschland zu erwähnen, wo ein Mitglied der Hells Angels einen SEK-Beamten erschoss, der sich gerade anschickte die Haustür aufzubrechen. Der zweite Strafsenat des BGH, der damalige Fischer-Senat, erblickte darin – zur Verärgerung der Polizeigewerkschaft – eine Notwehr. Der Angeklagte konnte sein Glück vermutlich gar nicht fassen, und die BILD-Zeitung hatte eine schöne Schlagzeile.