Ein Schauspieler versuchte vier mal seine Ex-Freundin zu töten und wurde nur wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.
Wie kann das sein?
In § 23 Abs. 2 StGB steht, dass der Versuch milder bestraft werden kann, als die vollendete Tat, „kann“ nicht „muss“. In der Praxis wird der Versuch in der Regel gar nicht bestraft! Dies liegt am Rücktritt nach § 24 StGB. Wichtig: Der fehlgeschlagene und der beendete Versuch sind leider nicht rücktrittsfähig.
Früher, als die Zeit noch gut und alt war, galt die sog. „Einzelakttheorie“. Schlug der Täter z.B. einmal mit der Axt vorbei, war der Versuch gescheitert und somit nicht mehr rücktrittsfähig. Der gescheiterte Versuch wurde wie die Vollendung bestraft, was letztlich an der Überbetonung des Willens im Strafrecht lag. Dieses harte Ergebnis empfanden unsere liberalen Strafrechtslehrer und die neuen liberalen Richter jedoch als unbefriedigend, denn es machte keinen Unterschied, ob das Opfer starb oder überlebte. Deshalb musste ein juristischer Bauerntick herhalten, um beim Versuch letztlich zur Straflosigkeit zu kommen. Dieser Trick ist die sog. „Tatplantheorie“. Danach kommt es darauf an, was sich der Täter so alles einfallen ließ, um zum Ziel zu kommen. Erst wenn dieser Plan gescheitert ist, ist der Versuch gescheitert. Um noch eins obendrauf zu setzen, stellt man bei der Frage, wann ein Versuch beendet ist, seit Mitte der 80er Jahre auf den sog. „Rücktrittshorizont“ des Täters nach der letzten Handlung ab. Wenn sich die Granate als Blindgänger herausstellt, das gesamte Magazin des Maschinengewehrs daneben ging, die Kettensäge versagt, der Täter jedoch erkennt, dass noch ein Kieselstein am Boden liegt, mit dem er das Opfer erschlagen könnte, er somit weitermachen könnte, ist der Versuch unbeendet und damit rücktrittsfähig. Das ist die große Stunde der Schutzbehauptung. Jedes auch noch so absurde Märchen darf nun – selbstverständlich straflos – aufgetischt werden. Nicht selten wird es auch geglaubt.
In der Praxis führt dies dazu, dass wegen versuchten Mordes niemand mehr bestraft wird, sondern lediglich für die bereits verwirklichten Delikte. Das sind typischerweise – wie hier – Körperverletzungsdelikte. Wenn man sich fragt, wie ein funktionierendes Strafrecht schrittweise kaputt gemacht werden konnte und warum die Kriminalität durch die Decke geht, dann liegt dies an genau diesem Zusammenwirken von liberaler Dogmatik und liberaler Rechtsprechung. Der Fehler liegt nicht im Gesetz, sondern bei den Gesetzesanwendern. Richter können durch ihre Lizenz zur Auslegung in jede Norm hineinlesen, was sie wollen. Demzufolge gilt das ewige Mantra: Andere Richter, andere Urteile! Das einzige Problem der gesamten deutschen Justiz sind die Rechtsanwender.
Man kann es auch anders formulieren: Die Dogmatik ist Müll, die Ausbildung ist Müll, die Absolventen haben nur Müll gelernt. Garbage In, Garbage Out.
P.S.: Die Problematik, dass sich Richter zum Gesetzgeber aufschwingen und z.B. durch extensive Auslegung der Rücktrittsregelung de facto den Versuch straflos stellen (sog. „richterliche Rechtsfortbildung“), ist in ähnlicher Form auch aus anderen Ländern bekannt. Eine gewichtige Rolle spielt dabei der EuGH, der z.B. einfach das Ergebnis einer Schweizer Volksabstimmung overruled hat. Damit stellt sich die Gretchenfrage: Wer herrscht eigentlich in einer Demokratie? Die Richter, oder das Volk? In der Bundesrepublik ist diese Frage spätestens seit 1953 geklärt: Der wirkliche Souverän residiert in Karlsruhe.