Wie der Tagesspiegel meldet, legt die Staatsanwaltschaft im Fall Lina E. Revision ein. Das Urteil sei wohl zu mild ausgefallen. Nicht mild genug, dachte sich demgegenüber die Verurteilte und legte laut Tagesschau auch Revision ein. Zwei Juristen, drei Meinungen. Ja was denn nun?

Angeklagt waren sechs Einzeltaten. Dazu kam die Beteiligung an einer kriminellen (Merke: keine terroristische) Vereinigung und diverser Kleinkram, wie z.B. Sachbeschädigung, Diebstahl und Urkundenfälschung. Wegen zwei der Taten wurde sie freigesprochen.

An dieser Stelle verrate ich ein kleines Geheimnis: Früher haben Richter die Gesamtstrafen mathematisch exakt gebildet, indem sie zu der höchsten Einzelstrafe die Hälfte der anderen Einzelstrafen addierten. Dem BGH gefiel diese stereotype Vorgehensweise jedoch nicht, vermutlich weil sich in der Mathematik das Ergebnis nicht anpassen lässt. Deshalb machen es die Richter heute zwar immer noch so, sie legen die Berechnung lediglich nicht mehr offen, sondern stellen das Ergebnis, verpackt in die üblichen Worthülsen zur Strafzumessung, einfach in den Raum. Das klingt dann in etwa so:

„Nach nochmaliger Abwägung aller für und gegen die Angeklagte sprechenden Gesichtspunkte, erachtet das Gericht eine Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von 5 Jahren und 3 Monaten für tat- und schuldangemessen.“

Nun kann man aus der Gesamtstrafe die Einzelstrafen über den Dreisatz rückrechnen. 63 Monate entsprechen 66% der Gesamtstrafe. Die höchste Einzelstrafe liegt bei 42 Monaten, also bei ca. 3 Jahren und 6 Monaten. Die Summe der Einzelstrafen ergibt danach ca. 95 Monate, also ca. 8 Jahre. Im Gegensatz zu den USA, wo Gesamtstrafen von 150 Jahren und mehr problemlos möglich sind, gibt es in Deutschland Mengenrabatt. Je mehr man macht, desto billiger wird es. Die Kappungsgrenze liegt – abgesehen von „lebenslang“ bei Mord – bei 15 Jahren. Teurer kann es hierzulande nicht werden. Die anschließende Sicherungsverwahrung ist noch möglich, was hier vielleicht sogar in Betracht gekommen wäre, aber hey, das „achtenswerte Motiv“ zählt.

Eine Revision ist schnell eingelegt. Es reicht der Satz „Ich rüge die Verletzung materiellen Rechts“. Was der BGH daraus machen wird, lässt sich relativ gut prognostizieren. Die richterliche Strafzumessung ist, abgesehen von groben handwerklichen Mängeln, in der Regel revisionsfest. Es gibt zwar regionale Unterschiede, was die Härte der Strafen anbetrifft, aber ansonsten können Richter wegen des Beurteilungsspielraums machen, was sie wollen.