Die LTO verkündet den neusten Angriff aus Brüssel auf die ungeliebte deutsche Automobilindustrie unter der Überschrift „EuGH für Schadensersatz auch bei Fahrlässigkeit„. Als Anspruchsgrundlage wird in der Folge § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit drittschützendem Unionsrecht genannt.
Dies wäre zwar zutreffend, aber es ist keine Sensation. Selbstverständlich gilt die deliktische Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB auch für Fahrlässigkeit. Argument: Satz 2. Die Sensation ist allenfalls, dass der EuGH hier das „drittschützende Unionsrecht“ möglicherweise aus dem Hut gezaubert hat. Der EuGH ist nicht der Gesetzgeber, auch wenn bisweilen ein anderer Eindruck entsteht, wenn er mal wieder Regelungen entdeckt, von denen zuvor noch niemand gewusst hat. Ich finde es immer wieder bemerkenswert, wenn Gerichte dem Gesetzgeber erklären, was wirklich in den Gesetzen drinsteht, die er erlassen hat. Ob dies hier der Fall ist, lässt sich beantworten, sobald die Urteilsbegründung vorliegt.
Im weiteren Text wird behauptet, der BGH hätte bislang die Haftung bei Fahrlässigkeit strikt abgelehnt, und eine Entscheidung zu § 826 BGB verlinkt. Selbstverständlich setzt der Anspruch nach § 826 BGB Vorsatz voraus. Argument: Wortlaut. Im Übrigen ging es in der zitierten Entscheidung gar nicht um das Verschulden, sondern um die Sittenwidrigkeit. Die Norm heißt einfach „Sittenwidrige vorsätzliche Schädigung“. Der Leitsatz lautet:
Das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handelnden Personen ist nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren, weil sie einen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben. Hierfür bedürfte es vielmehr weiterer Umstände. Der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, ZIP 2021, 297 Rn. 19; vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20, VersR 2021, 661 Rn. 28).
Wenigstens bekommt der Verfasser zum Schluss doch noch die Kurve und erklärt den Unterschied zwischen dem sog. „Thermofenster“ und der berühmt-berüchtigten „Abschalteinrichtung“ anhand des entsprechenden BGH-Urteils gegen Volkswagen. Dasselbe war zumindest bis gestern nicht das Gleiche.