Das umstrittene Nachrichtenmagazin des umstrittenen Journalisten Julian R. berichtet über den Fall einer Pflegerin aus Bayern, die auf der umstrittenen Plattform „X“ des umstrittenen Milliardärs Elon M. die deutsche Außenministerin als „Hohlbratze“ bezeichnet hatte. Dafür wurde sie vom Amtsgericht zu einer Geldstrafe in Höhe von 6000 Euro verurteilt, ging daraufhin in Berufung und wurde freigesprochen. Das ist an sich genommen bereits relativ selten. Bemerkenswert ist jedoch, dass das Gericht noch zuvor angeregt hatte, die Berufung zurückzunehmen.
Dieser Fall erinnert mich an eine Anekdote aus meiner Referendarzeit. Uns wurde im Zivilrecht ein Übungsfall vorgelegt, bei dem sich der Beklagte gegen ein Versäumnisurteil mit Rechtsansichten verteidigt hat. Nun muss man dazu wissen, dass ein (echtes) Versäumnisurteil im Zivilrecht nur ergeht, wenn das Gericht die Klage „schlüssig“ hält, d.h. der Anspruch bei als wahr unterstelltem Tatsachenvortrag rechtlich besteht. Es ist daher – zumindest in der Theorie – völlig aussichtslos, sich gegen ein VU lediglich mit Rechtsansichten zu verteidigen, weil das Gericht diese offenkundig nicht teilt. Nachdem ich dies im Unterricht zum Besten gegeben hatte, fragte mich die AG-Leiterin, wie ich denn auf sowas komme. Ich antwortete, dass ich es genau so in der älteren Ausbildungsliteratur (Atzler) gelesen hätte. Sie sagte daraufhin, dies könne sie aus ihrer Praxis nicht bestätigen, denn sie hätte schon mal selbst ein Versäumnisurteil aufgehoben. Auf meine Rückfrage, ob es ihr eigenes Versäumnisurteil gewesen sei, meinte sie nein, das eines Kollegen (in Vertretung).
Was lernen wir daraus? Andere Richter treffen bisweilen andere Entscheidungen.
In der Berufung entscheiden nicht dieselben Richter nochmals über ihr eigenes erstinstanzliches Urteil, sondern es ist ein neues Verfahren mit anderen Richtern. Vor dem Landgericht (kleine Strafkammer), sind es deren drei: Ein Berufsrichter und zwei Schöffen (Laienrichter). Da kann es in sehr seltenen Fällen auch mal vorkommen, dass der Berufsrichter von den beiden Schöffen überstimmt wird. Genau das sollte eigentlich durch die sog. „Emminger-Reform“ aus dem Jahre 1924 verhindert werden, aber wie heißt es so schön, shit happens.
War das nun der Sieg des kleinen Mannes, oder hier der kleinen Pflegerin, über das letzte Aufbäumen einer politischen Kaste, die kurz vor ihrer Abwahl steht? Ich wäre da vorsichtig, denn der Fairness halber ist darauf hinzuweisen, dass Freisprüche im deutschen Strafrecht eher selten sind (ca. 3%). Die Berufung stellt in der Tat ein hohes Kostenrisiko dar, insbesondere wenn lediglich um Rechtsansichten gestritten wird.