Das VG Frankfurt bezeichnete die Verbotsverfügung der Stadt bezüglich einer sog. „Pro-Palästina“-Kundgebung als „offensichtlich rechtswidrig“ und kassierte sie. Die Behörde gab sich damit jedoch nicht zufrieden und legte Rechtsmittel ein. Der VGH Kassel entschied daraufhin das genaue Gegenteil.

Vorab, um welche Normen geht es eigentlich? Es geht konkret um das hessische Versammlungsgesetz, das Ausfluss des Art. 8 GG ist. Zwar ist die Versammlungsfreiheit im Grundgesetz als ein sog. „Deutschengrundrecht“ formuliert und steht damit im Gegensatz zum sog. „Jedermanngrundrecht“ nur deutschen Staatsbürgern zu, aber das interessiert heutzutage natürlich niemand mehr. Wir sind mittlerweile so weltoffen, dass wir gerne auch Ausländer bei uns demonstrieren lassen, aber bitte nur, sofern es gegen Diktaturen in ihren Heimatländern geht. Bei Demonstrationen gegen die sog. „westlichen Werte“, unsere Verbündeten, oder besonders geschützte Gruppen können wir leider nicht ganz so tolerant sein. Insoweit bestehen gewisse Sachzwänge.

Gem. § 14 Abs. 1 HVersFG können Versammlungen unter freiem Himmel verboten werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Maßnahmen erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.

Das VG Frankfurt ist der Auffassung, für eine solche Prognose seien strenge Maßstäbe anzulegen, Verdachtsmomente genügten nicht. Der VGH Kassel sagt im übertragenen Sinne: Nö, Vorurteile genügen auch. In der Vergangenheit habe sich gezeigt, dass es bei solchen Veranstalten typischerweise zu Straftaten (§§ 130, 140 StGB) komme, dies müssten sich die Veranstalter zurechnen lassen. Und damit zeigt sich mal wieder, dass das Recht nicht davon abhängt, was im Gesetz steht, sondern von den Richtern, die darüber entscheiden. Bereits im Studium wird angehenden Juristen gesagt, dass es nicht auf das Ergebnis ankomme, sondern nur auf die Begründung. Während sich Statiker streng an die Regeln der Physik zu halten haben, weil ansonsten das Bauwerk zusammenstürzt, gilt für Richter „iudex non calculat„. Mit einer schönen Begründung können sie alles ausurteilen, das sogar mit Haftungsprivileg.

 

Exkurs: Im Talmud findet sich in der Bava Kamma bei 113a folgende Passage:

Wenn ein Jisraélit und ein Nichtjude vor dir zu Gericht kommen, so sollst du, wenn du ihm nach jüdischem Gesetze Recht geben kannst, ihm Recht geben und zu diesem sagen, so sei es nach unserem Gesetze, und wenn nach dem Gesetze der weltlichen Völker, ihm Recht geben und zu diesem sagen, so sei es nach euerem Gesetze; wenn aber nicht, so komme ihm mit einer Hinterlist – so R. Jišma͑él; R. A͑qiba sagt, man dürfe ihm nicht mit einer Hinterlist kommen, wegen der Heiligung des [göttlichen] Namens.