Der Ersatzteufel der deutschen Medienlandschaft, ein nützlicher Idealist, ist endlich wegen des Sagens dreier Worte verurteilt worden. Immerhin 13.000 Euro Geldstrafe sind es für die Staatskasse geworden, und die Presse darf natürlich auch noch ein bisschen mitverdienen. 100 Tagessätze bedeuten im Übrigen, dass er nun vorbestraft ist, was seinen politischen Ambitionen nach höchsten Staatsämtern allerdings nicht im Wege stehen dürfte. Ein aufschlussreicher Artikel zum letzten Verhandlungstag ist beim Portal ntv erschienen. Dort ist u.a. die Rede von seinem sehr ausführlichen „Schlusswort“. Üblicherweise lautet die Formulierung des Schlusswortes: „Ich schließe mich den Ausführungen meines Verteidigers an“. Davon wurde hier offenkundig abgewichen. Ob es letztlich einen Unterschied gemacht hat, möchte ich mal dezent anzweifeln, solche Aktionen bergen jedoch immer das Risiko, dass sich der Angeklagte im Eifer des Gefechts verplappert. Anyways, auch die Argumentation der Verteidiger war aus meiner Sicht nicht minder ungewöhnlich.

Alles andere stellten er und seine Anwälte in Abrede: „Alternative für Deutschland“ [Formulierung geändert – Anm. d. Verf.] sei weder in der Zeit des NS-Regimes noch heute klar als nationalsozialistische Formel erkennbar gewesen, erst der Prozess habe den Spruch bekannt gemacht. Höcke habe auch nicht vorsätzlich gehandelt – und selbst wenn, dann wäre das egal, denn der Satz könne keinesfalls strafbar sein. Sollte Höcke geglaubt haben, gegen geltendes Recht zu verstoßen, so wäre dies ein sogenanntes „Wahndelikt“ gewesen, argumentierte sein Anwalt Vosgerau: Höcke hätte sich für schuldig gehalten, ohne schuldig zu sein.

Dass das Gericht besagte, aus dem Kontext befreite (sic!), Phrase für strafbar hält, steht seit dem Eröffnungsbeschluss außer Zweifel. Sobald ein solcher vorliegt, scheitert jegliche Verteidigung mit Rechtsansichten, weil das Gericht dadurch unter Beweis gestellt hat, dass es selbst (vgl. § 203 StPO) von hinreichendem Tatverdacht (= überwiegenden Verurteilungswahrscheinlichkeit) ausgeht, was die strafrechtliche Relevanz der Äußerung impliziert. Der Trick zu einem revisionsfesten Urteil besteht übrigens in der netten Formulierung „gerichtsbekannt“. Nachgeborenen Richtern ist selbst 80 später selbstverständlich jede einzelne auch noch so seltene obskure NS-Parole bekannt. Dafür haben – zumindest in der Theorie – nicht zuletzt nachgeborene Geschichtslehrer, wie z.B. der Angeklagte, durch ihre nimmermüden Bemühungen gesorgt. Insoweit erübrigte es sich auch, einen eigenen Zeugen zu präsentieren, der auf dem Gebiet von NS-Parolen angeblich eine besondere Expertise besitzt, und ihn 80 Minuten lang zu Ja oder Nein zu befragen. Da diese Zeuge kein gerichtlich bestellter Sachverständiger war, haben seine Ausführungen keinerlei praktische Bedeutung. Das Argument, es handle sich dabei ggf. um ein Wahndelikt, ist im Übrigen zirkelschlüssig, denn zum Wahndelikt würde es nämlich erst bei einem Freispruch.

Die einzig zielführende Verteidigung bestand hier darin, den Vorsatz zu bestreiten, wobei die Beweislast ohnehin beim Staat liegt. Diesbezüglich hat sich der Vorsitzende Richter dann auch einen Fauxpas geleistet, genau genommen zwei:

Als Richter Stengel am Abend das Urteil verkündet, kehrt ein nüchterner Ton zurück ins Gericht. Die Bedeutung der Parole in der NS-Zeit „haben wir anders wahrgenommen„. Ein bisschen Pathos bemüht auch Stengel. Es gebe Gemeinsamkeiten zwischen Gerichten und Lehrern, beide hätten als Werkzeug die Sprache, mit der man verantwortungsvoll umgehen müsse. Und dann sagt er: „Das Gericht muss sich fast alles anhören, aber es muss nicht alles glauben.“ Wieder wendet er sich an Höcke: „Sie sind ein redegewandter, intelligenter Mann“, der wisse, was er sage. Dass Höcke von den Fällen Oehme und Ziegler nichts gewusst habe, sei „lebensfremd“. Raum für eine Freiheitsstrafe sieht er allerdings nicht, „das wäre völlig überzogen“ [Im Gegensatz zu 100 Tagessätzen für drei Worte – Anm. d. Verf.].

Es geht bei besagter Parole nicht um die „Wahrnehmung“ des Gerichts, sondern um eine historische Tatsache. Dass der Angeklagte wisse, was er sage, ist eine zirkelschlüssige Unterstellung. Er sagt nichts Verbotenes, wenn er freigesprochen wird. Ob er freigesprochen wird, hängt von seinen Richtern ab. Als er den Satz sagte, konnte er es noch nicht wissen, er konnte allenfalls erahnen, dass er vor deutschen Richtern sehr wahrscheinlich keine Chance hat. Damit stellt sich die Frage, was er mit der Aktion eigentlich bezweckt hat. Mich erinnert das an die Ärztin, die auch erahnen konnte, was geschehen wird.