Wie der LTO zu entnehmen ist, wurde ein zuvor wegen Mordes Verurteilter freigesprochen, weil das Gericht in einem  Wiederaufnahmeverfahren einem Sachverständigen geglaubt hat. Dieser hatte mit Hilfe eines Computermodells, dessen Ausgangsannahmen er selbst konfiguriert hatte, nachgewiesen, dass seine Ausgangsannahmen stimmen. Eine gewisse Zirkelschlüssigkeit ist bei Computersimulationen nicht zu vermeiden, weil sie immer nur eine von Menschen konstruierte Näherungslösung sein können. Nach diesem Modell war es theoretisch möglich(!), dass das Opfer tödlich verunglückt ist. Diese theoretische Möglichkeit reichte dem Gericht aus, um im Zweifel für den Angeklagten zu entscheiden. Hier kommt auch der sog. „gesetzliche Richter“ zum Tragen. Andere Richter hätten dies möglicherweise anders entschieden. Ich komme aus der Informatik und weiß quasi aus erster Hand, dass man mit Computermodellen fast jedes gewünschte Ergebnis erzielen kann. Man muss einfach nur so lange an den Variablen drehen, bis es passt. Sicherheit kann es nur geben, wenn der Versuchsleiter keinerlei Einfluss auf die Konfiguration der Software hat. Das ist jedoch in diesem Fall offenkundig ausgeschlossen.

In einem weiteren Artikel beschäftigt sich die LTO mit der „Fehlurteilsforschung“, wo offenbar neuerdings von sog. „Experten“ versucht wird, Zweifel allein aus dem Umstand zu konstruieren, dass ab und zu auch mal Urteile aufgrund neuer Erkenntnisse aufgehoben werden. Einen tieferen Sinn haben solche Statistiken nicht, denn wo gehobelt wird, fallen Späne. Fehlurteile gab es schon immer, und es wird sie weiterhin geben. Die Todesstrafe ist abgeschafft.

In meinem Referendariat berichtete mal ein Strafverteidiger von einem Mordfall, bei dem ein Angehöriger eines Krebspatienten die Maschine abgeschaltet hatte. Es kam zu einem Freispruch, weil nicht sicher nachgewiesen werden konnte, dass das Opfer nicht rein zufällig in genau diesem(!) Zeitpunkt eines natürlichen Todes verstorben war. Ich glaube übrigens nicht, dass das Gericht damals auf den vermeintlich billigsten Bauerntrick aller Zeiten reingefallen ist. Mir scheint eher, es war ein Ergebnis, mit dem man die Akte guten Gewissens schließen konnte.

Maßstab der richterlichen Beweiswürdigung ist nicht die absolute Sicherheit, sondern die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Diese liegt als Faustregel vor, wenn alle vernünftigen(!) Zweifel schweigen. Natürlich kann theoretisch alles geschehen, was physikalisch möglich ist, aber das heißt noch lange nicht, dass man sich jeden Bären aufbinden lassen muss, auch nicht von sog. „Experten“*. In diesem Zusammenhang möchte ich auch an den berühmten Hollywood-Film „Die zwölf Geschworenen“ aus dem Jahre 1957 erinnern. Das war z.B. so ein Fall, wo es scheinbar um solche vernünftigen Zweifel ging. Der Clou ist jedoch, dass der Freispruch der Jury, so wie in dem Film argumentiert wurde, laut eines Professors nicht gerechtfertigt war.

„In short, the jurors do an effective job of casting doubt on the eyewitness testimony, but I suggest that the probability that the defendant was guilty, based on circumstantial evidence, was already close to 100%. Throw out the eyewitnesses, and you are still close to 100%.“

 

* Vgl. dazu den Sally Clark Case, wo ein sog. „Experte“ zu einer Zufallswahrscheinlichkeit von 1:70.000.000 kam. Andere sog. „Experten“ kamen zu anderen Ergebnissen, wie man es aus der Schule von Matheklausuren in Stochastik kennt. Der Streit reichte den Richtern im Wiederaufnahmeverfahren für einen Freispruch. Das heißt nicht, dass die Angeklagte ihre Kinder nicht umgebracht hat. Man konnte sie lediglich nicht dafür bestrafen.