Seit Jahren ranken sich Mythen um einen Youtuber, der unter dem Pseudonym „Drachenlord“ auf Youtube aktiv ist. Seine Popularität begründet sich anscheinend nicht durch die überragende Qualität seiner Inhalte, sondern eher durch das Gegenteil. Das muss nicht zwingend zu seinem Nachteil sein, denn wie das Showformat „Deutschland sucht den Superstar“ zeigt, haben auch untalentierte Künstler durchaus Unterhaltungspotential. In seinem Fall führte dies jedoch dazu, dass sich eine Community von sog. „Hatern“ gebildet hat, die den Protagonisten regelmäßig an seinem Wohnort drangsaliert. Es kam dabei offenbar nicht selten sogar zu körperlichen Auseinandersetzungen. Dies führte auch bereits zu einer Verurteilung des „Drachenlords“ zu einer Bewährungsstrafe. Wie nicht anders zu erwarten, kam es jedoch auch danach zu weiteren Konfrontationen und entsprechenden Auseinandersetzungen. Die vorerst letzte Episode ist eine Verurteilung zu zwei Jahren Freiheitsstrafe, die anscheinend nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Der rechtliche Schwerpunkt des Falles liegt auf der Rechtfertigungsebene. Durfte sich der „Drachenlord“ gegen die „Hater“ gewaltsam zur Wehr setzen? Das ist natürlich allein auf Basis der Berichterstattung und ohne Kenntnis der Akten nicht eindeutig zu beantworten. In Betracht kommt jedoch folgendes:

Mögliche Straftaten (= rechtswidrige Angriffe) der „Hater“:

Mögliche Rechtfertigungsgründe des „Drachenlords“:

Man darf sich gegen rechtswidrige Angriffe natürlich auch gewaltsam zur Wehr setzen, so lange dies verhältnismäßig geschieht. Dies könnte z.B. beim Schlag mit der Taschenlampe nicht der Fall gewesen sein. Aber wie gesagt, nichts genaues über den Tathergang weiß man nicht. Bei der Strafzumessung hat das Gericht Spielraum, d.h. es kann den Strafrahmen vollständig ausschöpfen, oder auch nicht. Im vorliegenden Fall dürfte es daher wohl auch ratsam sein, das Kostenrisiko der Berufung einzugehen, denn die Wahrscheinlichkeit, dass die kleine Strafkammer mit drei „Hatern“ besetzt ist, dürfte gering sein. Sollte der „Drachenlord“ auf Youtube wirklich bis zu 6.000 € pro Monat verdienen, dann stehen hier mindestens zwei Jahreseinnahmen auf dem Spiel.

Noch ein paar Anmerkungen zur Berichterstattung in den Medien: Die Staatsanwaltschaft hat bei der Strafaussetzung zur Bewährung natürlich kein Mitspracherecht. Die folgende Passage in der LTO beschreibt daher einen gescheiterten Verständigungsversuch:

„Die Staatsanwältin lehnte es trotzdem ab, sich mit der Verteidigung auf eine Bewährungsstrafe im Fall eines Geständnisses zu einigen. Tatort sei nicht nur Altschauerberg, sondern auch das Internet, begründete die Anklagevertreterin.“

Auch die Überschrift im Spiegel ist irreführend.

„Youtuber „Drachenlord“ räumt Körpferverletzung ein.“

Man räumt keine „Körperverletzung“ ein, denn die rechtliche Bewertung obliegt dem Gericht, sondern allenfalls einen Sachverhalt.

Update (01.11.2021): Erwartungsgemäß wird es ein Rückspiel vor dem Landgericht geben.

Update (02.11.2021): In der Zwischenzeit bin ich auf die Kolumne von Sascha Lobo gestoßen. Ich teile auf Basis der Berichterstattung seine Auffassung, dass es sich bislang um einen Fall von Justizversagen gehandelt hat, jedoch glaube ich nicht, dass dieser Fall Anlass für einen Rundumschlag gegen die „Internetkultur“ bietet. Das rechtliche Instrumentarium gegen Nachstellung (Stalking) ist völlig ausreichend, es muss lediglich angewendet werden. Sollten keine Tatverdächtigen zu ermitteln sein, dann wäre das nicht anders, als bei anderen Straftaten auch. Manchmal erwischt man sie einfach nicht.

Nachtrag (09.11.2021): Auf einen speziellen Aspekt möchte ich noch eingehen, nämlich den Vorwurf, der „Drachenlord“ habe mehre Taten begangen. Das liegt in dieser Konstellation in der Natur der Sache, denn er stand im Rahmen der jahrelangen Belagerung seines Anwesens täglich neuen Angreifern gegenüber. Man könnte hier durchaus mal über einen „Fortsetzungszusammenhang“ nachdenken und von einer einzigen Tat mit mehreren Geschädigten ausgehen. Auch wenn der Große Senat Mitte der 90er Jahre von dieser Rechtsfigur abgerückt ist, heißt das nicht, dass es keine Ersatzkonstruktionen gäbe. Problematisch ist natürlich der regelmäßig geforderte „enge zeitliche Zusammenhang“, aber hier liegt offenkundig eine Konstellation vor, die eine Ausnahme erlauben sollte. Der alleinige Verteidiger muss notgedrungen jedes mal einschreiten. Die sog. „Hater“ können vor jeder Aktion die Angreifer auswechseln. Dieses Ungleichgewicht kann nicht zu Lasten des Einzelnen gehen. Zumindest wäre dieser Gesichtspunkt bei der Strafe zu berücksichtigen.

Update (24.03.2022): In der Berufung ist es zu einer Bewährungsstrafe geworden.