Als es nach dem Krieg darum ging, die neuen Parteien mit „zuverlässigen“ Leuten zu besetzen, war die Auswahl der neuen Führungsspitze für die SPD kinderleicht, denn ihre Mitglieder waren im Dritten Reich massiven Repressionen ausgesetzt. Die Union hatte es als koservative bürgerliche Kraft bei der Rektrutierung unbescholtener Bürger schon deutlich schwerer. Das Bekenntnis zum Christentum machte es zudem praktisch unmöglich, Angehörige unterdrückter Religionsgruppen aufzunehmen. Es verwundert daher nicht, dass die Union von Anfang an einen guten Draht zum Widerstand aufgebaut hat, wo es offenkundig die vorbildlichsten Bürger in ganz Deutschland gab. Der bekannteste Vertreter dieser Gruppe dürfte Richard von Weizsäcker gewesen sein. Weniger bekannt ist vielen der Lebenslauf des Josef Müller, genannt „Ochsensepp“, des ersten Vorsitzenden der CSU. Er wurde von der Widerstandsgruppe um Canaris und Oster beim deutschen Auslandsgeheimdiest „Abwehr“ als Verbindungsmann für den Kontakt zum Vatikan eingesetzt.

Wenig bekannt ist auch, dass neben der Organisation Gehlen, die Altnazis beschäftigte und unter amerikanischer Kontrolle stand, und dem Bundesamt für Verfassungsschutz, dessen erster Behördenleiter der ehemalige britischer Agent John war, unter Adenauer ein dritter Geheimdienst existierte, der unter Kontrolle der Bundesregierung stand, der Friedrich-Wilhelm-Heinz-Dienst. Dass der Namensgeber bei der Abwehr war, erübrigt sich nach dieser Vorrede. Als sich z.B. während der Spiegel-Affäre der verantwortliche Redakteur mit seiner Frau nach Spanien abgesetzt hatte, kontaktierte Strauß den deutschen Militärattachee Achim Oster, den Sohn Hans Osters. Den hatte man dort, vermutlich weil Blut dicker als Wasser ist, mit einem netten Pöstchen versorgt.

Konnten nach dem Krieg eigentlich auch normale Bürger politische Karriere machen, die weder über besondere persönliche Merkmale verfügten, oder sich in irgendeiner Weise beim Kampf gegen die Nazis hervorgetan hatten? Die Antwort lautet: Wohl eher nicht. Was bei der entsprechenden Passage in der Wikipedia fehlt, ist nämlich der Zeitpunkt für das „Eintreten“. Dieser Zeitpunkt lag regelmäßig vor dem Kriegsende. Es ist daher kein Wunder, dass die westdeutsche Bevölkerung relativ schnell eine „Ohne-Mich-Stimmung“ entwickelt hat, denn auf ihre Mitwirkung beim Nation Building wurde schlichtweg verzichtet. Mit anderen Worten: Wer vor 1933 nicht in der SPD, der KPD oder im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold war, unter den Nazis kein Berufsverbot hatte, nicht im KZ saß, niemanden vor der Gestapo versteckt hatte, nicht als Agent für die Allierten spioniert hatte, oder gar an einem versuchten Attentat auf den größenwahnsinnigen Kunstmaler beteiligt war, oder notfalls jemanden kannte, der dies glaubhaft bezeugen konnte, hatte schlichtweg denkbar schlechte Karten für eine politische Karriere in der jungen Bundesrepublik. Dies machte diejenigen, die in herausragender Stellung für die Union auftraten natürlich extrem angreifbar, denn alles was für sie sprach, war nicht gerade das, womit sich damals das Vertrauen in der Bevölkerung gewinnen ließ. Insbesondere die Widerstandskämpfer galten in der Bevölkerung als Landesverräter, und es bedurfte einer massiven Anstrengung seitens der Justiz und der Propaganda, um dieses negative Image umzudrehen. Wer es offen aussprach wurde verurteilt. Für die Kinos hat man ein Heldenepos produziert.

Als Richard von Weizsäcker Bundespräsident wurde, und den 8. Mai 1945 zum Tag der Befreiung umdefinierte, war die Umerziehung abgeschlossen. In der DDR hatte man zur Problematik des Landesverrats eine völlig andere Einstellung. Dort wurde der russische Topspion Richard Sorge als Held gefeiert.

P.S.: Wie kommt es eigentlich, dass Franz-Josef Strauß im Gegensatz zu seinen Kameraden lediglich kurze Zeit in amerikanischer Kriegsgefangenschaft verbrachte und danach in der amerikanischen Zone eine Blitzkarriere hinlegte? Es gibt wohl gewisse „Vermutungen„, aber nichts genaues weiß man nicht.