Die LTO berichtet über einen ungewöhnlichen Präventivmord an einer Doppelgängerin. Bereits im ersten Satz kommt eine bemerkenswerte Information: Die Staatsanwaltschaft hat 190 Zeugen (besser: Zeugenpersonen) benannt. Wie bitte?

190 (in Worten: Einhundertneunzig), wo eine glaubhafte Zeugenperson ausgereicht hätte. Mal abgesehen vom Kostenaufwand ist dieses Schießen mit Kanonen auf Spatzen auch noch kontraproduktiv, denn 190 Personen können sich aufgrund völlig normaler Erinnerungslücken von der Verteidigung leicht in Widersprüche verwickeln lassen. Eines kann man der StA jedoch nicht vorwerfen, einen Mangel an Fleiß. Ich bin mir nämlich absolut sicher, dass der Ermittlungsaufwand die Tätigkeit der Dezernenten und Dezernentinnen in anderen Verfahren in keinster Weise beeinträchtigt hat. Ressourcen hat man.

Kommen wir nun zum eigentlichen Fall. Juristisch interessant ist die Frage, wie die StA beim Motiv des Selbstschutzes den Mordvorwurf konstruiert hat. Früher reichte ein Tatplan, seit 1941 sind jedoch spezielle Merkmale erforderlich. Grausamkeit dürfte ausscheiden, denn 56 Messerstiche sind bekanntlich – nach Ansicht deutscher Gerichte – nicht zwingend grausam, sondern für diese Begehungsweise eher typisch. Gewinnsucht scheidet aus, denn das Leben der Angeklagten hat keinen Vermögenswert. Verdeckungsabsicht kann es nicht sein, weil dazu die Verdeckung einer Straftat nötig ist, nicht die Verdeckung der eigenen Identität. Niedrige Beweggründe dürften auch ausscheiden, weil das Retten des eigenen Lebens ein nachvollziehbarer Beweggrund ist. Bleibt noch die Heimtücke, z.B. durch einen Überraschungsangriff, aber was wäre, wenn das Opfer vor der Tat über das Motiv aufgeklärt wurde, frei nach dem Motto: Haben Sie kurz Zeit? Wir hätten da ein Problem, bei dessen Lösung Sie uns behilflich sein können? Auf der Schuldebene wäre an den entschuldigenden Notstand zu denken (vgl. Brett des Karneades). Hierzu dürfte es allerdings an einer konkreten Lebensgefahr gefehlt haben.

Exkurs: Wie kann sich die Gesellschaft künftig vor solchen Gefahren schützen? Durch mehr Individualität, z.B. durch ein einzigartiges Gesichts-Tattoo. Sarkasmus erscheint in Anbetracht des Leids unangebracht, aber wie will man sonst mit solchen Meldungen umgehen? Es bleibt nur Weinen oder Lachen.