Die Ermordung Shinzo Abes bietet Anlass, sich mit der neueren japanischen Geschichte zu beschäftigen. Zwischen Deutschland und Japan bestehen seit 1945 viele Parallelen, aber auch einige Unterschiede. Beide Länder haben z.B. immer noch die fragwürdige Ehre in der Charta der Vereinten Nationen als „Feindstaaten“ bezeichnet zu werden. Beide Länder haben Waren, in erster Linie Autos und Maschinen, in die USA exportiert und wurden dafür seit 1973 mit Schuldscheinen bezahlt. Davor wurde man übrigens mit Gold bezahlt, das man jedoch nicht zu sehen bekam. Zur gleichen Zeit gab es in den USA aus unerklärlichen Gründen ein ungewöhnlich starkes Wirtschaftswachstum. Auch in Japan sind weiterhin amerikanische Truppen stationiert. Natürlich gab es auch in Japan einen großen Kriegsverbrecherprozess und natürlich wurde auch dort die Bevölkerung in zwei Gruppen eingeteilt: Die große Gruppe der Verdächtigen und die kleine Gruppe derjenigen, die glaubhaft versichern konnten, Sinn im Sinne ihrer neuen amerikanischen Freunde machen zu wollen.

 

Quelle: US Army Orientation Film OF-15

 

Im Gegensatz zu Deutschland durfte Japan mit den neuen Freunden einen Friedensvertrag schließen. In Japan versucht man, anders als in Deutschland, zu verhindern, dass die eigene Geschichte in Schulbüchern auf ein Verbrecheralbum reduziert wird. Im Gegensatz zu Deutschland setzt Japan auf eine restriktive Einwanderungspolitik. Der vielleicht größte Unterschied ist jedoch die Entstehungsgeschichte der japanischen Verfassung. Während man den Westdeutschen mühsam auf die Spünge helfen musste, eine Verfassung auf den Weg zu bringen, und die Vertreter des Parlamentarischen Rates 36 mal zu Korrekturen auf dem Petersberg bei Bonn erscheinen durften, hatte der amerikanische Militärgouvaneur MacArthur in Japan diese Gedult nicht. Weil sich die Japaner offenbar zu ungeschickt angestellt hatten, ließ er die japanische Verfassung ganz einfach von seinen eigenen Leuten erarbeiten. Sinnbild der Fremdbestimmung ist der berühmt berüchtigte Artikel 9, mit dem Japan der Pazifismus aufgezwungen wurde. Die Verfassungsänderung ist eines der vielen heiklen Themen, denen sich Shinzo Abe jahrzehntelang angenommen hatte, jedoch – wie weltweit alle konservativen Politiker – gescheitert ist. Auf die naheliegende Frage, wem ein solches Attentat nützen könnte (cui bono), fällt der Blick aufgrund aktueller Ereignisse natürlich auf China. Wäre es Abe uns seiner Partei gelungen, die Ketten Japans zu brechen, wäre als nächster Schritt mit Sicherheit der NATO-Beitritt erfolgt, und damit könnten die USA japanische Hilfstruppen gegen China in Stellung bringen. In Japan kommt keine Regierung an die Macht, die nicht die Interessen der USA berücksichtigt.

Diesbezüglich ist auch noch auf den ehemaligen Oberbefehlshaber der japanischen Luftwaffe Gen. Toshio Tamogami hinzuweisen. Dieser hatte in einem geschichtsrevisionistischen Aufsatz versucht, die japanische Kriegsschuld zu relativieren und die Stationierung amerikanischer Truppen auf japanischem Boden kritisiert. Das geht natürlich gar nicht. Er wurde selbstverständlich sofort entlassen und ging daraufhin in die Politik. Seine Karriere konnte jedoch durch eine Parteispendenaffäre erfolgreich torpediert werden. Dies dürfte in erster Linie den USA genützt haben. Japanische Nationalisten sind Störer.