Die Bundesinnenministerin hat das Compact-Magazin, genauer zwei dahinterstehende Unternehmen, verboten. Natürlich wurden sofort von überall Rufe laut, dies sei ein schwerer Schlag gegen die Pressefreiheit.

Ob dem so ist, müssen nun die Gerichte entscheiden, denn die Pressefreiheit ist im Grundgesetz nicht schrankenlos garantiert. § 3 Abs. 1 VereinsG ist eine solche Schranke. Das BMI hat eine FAQ veröffentlicht, wo die wesentlichen Punkte angesprochen werden. Ob jedoch die in diesem Zusammenhang gerne verwendeten Schablonen „rassistisch“, „antisemitisch“, „minderheitenfeindlich“, „geschichtsrevisionistisch“ und „verschwörungstheoretisch“ für ein Verbot ausreichen, darf bezweifelt werden. Eine Verurteilung wegen Volksverhetzung, ist allerdings nicht erforderlich. Genau diese Lücke will man nutzen.

Ich möchte diesen Fall zum Anlass nehmen, um auf das Fünf-Broschüren-Urteil des BGH aus dem Jahre 1952 hinzuweisen. Damals stellte sich die Frage, wie man DDR-Propaganda unterbinden kann, die stilistisch sogar ein wenig an das Compact-Magazin erinnert. Die Titel der fünf Broschüren lauteten:

  • Wo stehen wir im Kampf um die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands? (für eine Wiedervereinigung Deutschlands)
  • Den Lügenfritzen eins aufs Maul (gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik)
  • Das Gebot der Stunde (für eine Volksbefragung gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und für den Abschluss eines Friedensvertrages)
  • Achtung! Akute Gefahr für die ganze Nation (gegen die Westintegration Konrad Adenauers)
  • Die deutsche Arbeiterklasse muß sich entscheiden! (für die Unterstützung der Politik der SED)

Wie ging die junge Bundesrepublik mit dieser Feindpropaganda um? Nun, der BGH erließ unter schwersten dogmatischen Bedenken im Hinterzimmer ein Urteil, das zwar nicht in die amtliche Sammlung kam, aber ggf. aus der Schublade gezogen wurde. Warum musste man die Vorbereitung zum Hochverrat, § 81 StGB a. F., als Aufhänger nutzen? Unter anderem, weil es das Vereinsgesetz mit den entsprechenden Eingriffsmöglichkeiten damals noch nicht gab.

Ein Blick in die Glaskugel sagt mir, dass der linksradikale Jürgen E. vor Gericht Erfolg haben wird. Seine Kampagne, die mich an die Silberstein-Affäre aus Österreich erinnert, wird er wahrscheinlich fortsetzen können. Ich kann allerdings auch das Motiv der Bundesinnenministerin nachvollziehen, juristisches Neuland zu betreten und einen solchen Testballon zu starten. Sollte das BMI mit seinem Vorgehen vor Gericht Erfolg haben, sind wir der Nationalen Front der DDR ein Stückchen näher. Das juristische Vorgehen der AfD gegen das Compact-Magazin dürfte sich allerdings – zumindest vorerst – erübrigt haben.

 

Update (21.07.2024): Mittlerweile kann man die Verbotsverfügung bei Wallasch finden, der u.a. Maaßen eine Plattform gibt. Die Argumentation entspricht im Kern einem Parteiverbotsantrag. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass genau dies von den Machern des Magazins beabsichtigt ist. Wenn das stimmt, dann spielt man hier quasi über Bande. Wer schon mal was vom Overton-Fenster gehört hat, sollte erkennen, dass Compact die Linien des Diskurses innerhalb des rechten Spektrums an den Rand verschiebt, und zwar weit über den Anschlag hinaus, bis ins Metaphysische. Die werden quasi ins Abseits geframet.

Nachtrag (22.07.2024): Im Prinzip haben wir es hier mit einem Phänomen zu tun, das bereits aus der Corona-Zeit bekannt ist. Die Regierung greift zu Maßnahmen, die auf dem ersten Blick nicht mit dem Grundgesetz vereinbar zu sein scheinen und auch nicht dem Idealbild einer freiheitlichen Demokratie entsprechen. Auf den zweiten Blick zeigt sich jedoch, dass es Ausnahmen, Sonderkonstellation, rechtliche Interpretationen und juristische Tricks gibt, die solche Maßnahmen letztlich doch ermöglichen. Vielleicht sollte man sich mit dem Gedanken anfreunden, dass die Bundesrepublik gar nicht so freiheitlich ist, wie es scheint. Wenn es darauf ankommt, kann sie bisweilen sogar sehr autoritär sein. Dies hat lange Tradition, vgl. z.B. das Elfes-Urteil des BVerfG.

P.S.: Aus dieser Vorlage wird man die Textbausteine zur Vereinigungsfreiheit gewinnen. Die spannende Frage bleibt der Brückenschlag zur Pressefreiheit. Darüber streiten aktuell die Juristen. Dieser Streit wird so lange dauern, bis die BILD-Zeitung meldet: Paukenschlag aus Karlsruhe! Dann wissen alle mehr.

 

Update (26.07.2024): Das BMI beruft sich auf diese Entscheidung des BVerwG, konkret auf folgende Passage:

Wie sich aus den in Art. 5 Abs. 2 GG festgelegten Schranken der Pressefreiheit und einer Abwägung mit dem verfassungsrechtlichen Verbotstatbestand des Art. 9 Abs. 2 GG ergibt, haben Meinungs- und Pressefreiheit dort zurückzutreten, wo sie – wie hier – ausschließlich der Verwirklichung verbotswidriger Vereinszwecke dienen (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Januar 1997 – 1 A 13.93 – Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 26; Beschluss vom 19. August 1994 – 1 VR 9.93 – Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 19).

Ob die Pressefreiheit hier ausschließlich der Verwirklichung verbotswidriger Vereinszwecke dient, ist eine Tatsachenfrage.

Update (14.08.2024): Dass die Antragsteller zumindest teilweise im einstweiligen Rechtsschutz erfolgreich sind, ist im Verwaltungsrecht nicht untypisch. Im Kern geht es dabei lediglich um die Frage, ob das staatliche Vollzugsinteresse überwiegt, oder das private Aussetzungsinteresse. Der Staat muss warten.

Die Bundesinnenministerin sieht es offenbar auch so. Das lasse ich mal unkommentiert.