Neuerdings richtet sich die öffentliche Empörung gegen das Vorgehen der Staatsanwaltschaft in diesem Fall. Die Frage, warum sich die Tatverdächtigen trotz dringenden Tatverdachts (= erdrückende Beweislage) nicht in U-Haft befinden, versucht der Focus ansatzweise in diesem Artikel zu erklären.

Für die Anordnung von U-Haft benötigt die Staatsanwaltschaft gem. § 112 StPO einen dringenden Tatverdacht und einen Haftgrund. Dieser Haftgrund kann gem. § 112a StPO in bestimmten Katalogstraftaten und in der Wiederholungsgefahr liegen.

Nun wird der aufmerksame Leser einwenden, bei den Katalogstraftaten sei doch auch § 177 StGB aufgeführt. Wo ist das Problem?

Das Problem besteht im zweiten Halbsatz des § 112a StPO:

und bestimmte Tatsachen die Gefahr begründen, daß er vor rechtskräftiger Aburteilung weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begehen oder die Straftat fortsetzen werde.

An diesen „bestimmten Tatsachen“ fehlt es hier anscheinend bei elf von zwölf Tatverdächtigen, jedenfalls nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft. Warum nicht wenigstens der Zwölfte in U-Haft sitzt, lässt sich von außen nicht sagen. Vielleicht fehlte es bei ihm an der erforderlichen Verhältnismäßigkeit.

Mit anderen Worten: Die sog. „Wiederholungsgefahr“ nach der Regelung in der StPO kann man sich wie beim Baseball vorstellen. Ein Strike genügt noch nicht, erst ab dem zweiten Strike wird inhaftiert. In der Zwischenzeit sollten sich junge Frauen besser nicht im Hamburger Stadtpark aufhalten. Früher hieß es, im Wald seien die Räuber. Dieses gesellschaftliche Erfahrungsmuster (= Vorurteil) war nach Ende des 30-jährigen Krieges auch durchaus belegbar, denn viele Landsknechte waren quasi über Nacht „arbeitslos“ geworden und mussten sich irgendwie durchschlagen. Heute ist der Wald zwar überwiegend räuberfrei, dafür lassen sich in Stadtparks neuerdings andere Erfahrungsmuster erkennen. „Don’t feed the bears“ beruht auf ähnlichen Beobachtungen.

Wer nach diesen Ausführungen am Geisteszustand des Gesetzgebers zweifelt, sollte sich klar machen, dass es gerade im Bereich der Sexualitätsdelikte immer mal wieder zu falschen Verdächtigungen kommt. Nicht jeder Fall ist so extrem gelagert, wie die vorliegende Gruppenvergewaltigung. Wenn man auf Basis von Anschuldigungen jeden „Tatverdächtigen“ sofort in U-Haft nimmt, lässt sich dieses Instrument leicht von böswilligen Personen missbrauchen.