So lautet die Überschrift eines Artikels beim ZDF, das über einen angeblichen sog. „Justizirrtum“ in den USA berichtet.

Ob der Verurteilte unschuldig ist, oder nicht, wissen wir nicht. Das weiß nur er selbst. Die Unschuldsvermutung ist, wie der Name schon sagt, lediglich eine Vermutung. Sie kann erschüttert werden, z.B. durch einen Schuldspruch. Selbiger muss in den USA durch einstimmige Jury-Entscheidung erfolgen. Vor 48 Jahren war die Jury von der Schuld des Angeklagten überzeugt. Die Entscheidung war kein Irrtum, sondern basierte auf dem Inhalt der Hauptverhandlung.

Wie sich aus den Akten ergibt, wurden in dem damaligen Verfahren entlastende Beweismittel – fahrlässig oder vorsätzlich – nicht in die Hauptverhandlung eingeführt, unter anderem ein Polizeibericht, in dem ein Zeuge möglicherweise („might have“) zwei andere Personen als Täter identifiziert hat. Wegen dieses Verfahrensfehlers wurde zwar ein neues Verfahren angeordnet, jedoch hat die Staatsanwaltschaft von einer erneuten Anklage abgesehen. Die damaligen Ermittlungsbeamten und die überlebenden Opfer sind entweder tot, oder nicht mehr verfügbar („either deceased or unavailable)“. Deshalb sah man sich nicht in der Lage, den erforderlichen Beweis („beyond a reasonable doubt“) zu führen.

Wie liefe ein solcher Fall in Deutschland? Erstens wäre der Verurteilte bei uns schon längst wieder auf freiem Fuß. „Lebenslänglich“ bedeutet in der Praxis, entgegen des eindeutigen Wortlauts, ca. 17 Jahre Haft. Eine besondere Schwere der Schuld dürfte hier nicht vorgelegen haben. Zweitens gibt es bei uns die Wiederaufnahme (des ursprünglichen Verfahrens) gem. § 359 StPO. Einschlägig wäre hier die Nr. 5.:

„wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht sind, die allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen die Freisprechung des Angeklagten oder in Anwendung eines milderen Strafgesetzes eine geringere Bestrafung oder eine wesentlich andere Entscheidung über eine Maßregel der Besserung und Sicherung zu begründen geeignet sind“

Wenn genügend Beweise (für die Unschuld) vorliegen und die Staatsanwaltschaft zustimmt, kann das Gericht den Angeklagten gem. § 371 StPO ohne erneute Hauptverhandlung freisprechen. Bei dieser Regelung geht es nicht um die Unschuldsvermutung, sondern um die Entkräftung des Schuldspruchs.

Exkurs: Der berühmteste sog. „Justizirrtum“ in den USA, wo nach einer Verurteilung entlastende Tatsachen aufgetaucht sind, ist der Mordfall Mary Phagan im Jahre 1915. Die Verurteilung des Angeklagten zur Todesstrafe wurde im Anschluss vom Gouverneur von Georgia in eine lebenslängliche Haftstrafe umgewandelt. Der Verurteile wurde daraufhin von einem wütenden Mob entführt und gelyncht. Die Mörder waren mutmaßlich u.a. der frühere Gouverneur, ein ehemaliger Bürgermeister, der Sohn eines Senators, mehrere Rechtsanwälte und ein Staatsanwalt. Sie wurden hinterher allerdings nicht dafür belangt. Das lag nicht zuletzt daran, dass ihre Identität erst im Jahre 1994 bekannt geworden ist. Das Beweismittel ist ein Dokument, das von der Großnichte des Opfers stammt, in dem sie seit Ende der 60er Jahre die Namen gesammelt hatte. Diese Liste wurde 30 Jahre später dem Historiker Stephen G. bekannt („came across“), der sie seither aufgrund seiner eigenen Recherchen stetig erweitert hat. Die Washington Post schreibt dazu:

„Goldfarb tried and failed to find a publisher for the resulting document – a list of names with his analysis of their identities. Finally, in January he decided to post the information online at www.leofranklynchers.com, though he didn’t announce it publicly until last month. Meanwhile, he continued to expand the list of those he feels have been verified as having had a role, recently adding a former governor, Joseph M. Brown.“

Während Brown in der deutschen Wikipedia als Tatbeteiligter bezeichnet wird, nennt die englische Wikipedia zumindest die Quelle.