Im Hinblick auf die Ereignisse in Magdeburg berichtet die WELT über die scheinbar sonderbaren Twitter-Aktivitäten des mutmaßlichen Attentäters, für den trotz der erdrückenden Beweislage bis zur rechtskräftigen Verurteilung im Übrigen die Unschuldsvermutung gilt.
Was er dort gepostet hat, ist offenkundig wirres Zeug. Das kann darauf hindeuten, dass es sich um eine geistige Störung i.S.v. § 20 StGB handelt, es kann aber auch der Versuch sein, im Vorfeld Tatsachen zu schaffen, auf die man eine spätere Schutzbehauptung stützen kann. Nun ist es natürlich so, dass der Beschuldigte mit Sicherheit einem psychiatrischen Gutachter vorgeführt werden wird, der jedoch wegen dieser Tweets große praktische Schwierigkeiten haben wird, fachlich sauber zu begründen, warum der Beschuldigte schuldfähig sein soll. Als Facharzt für Psychiatrie, weiß er natürlich, wie der Hase läuft.
Der Bauerntrick, eine Geisteskrankheit lediglich zu simulieren, ist übrigens nicht neu: Im Dritten Reich war es bei Regimegegnern Ziel der Strafverteidiger, einen sog. „Jagdschein“ zu erwirken, denn nur so konnte ggf. die Todesstrafe verhindert werden. Nach Kriegsende war es bisweilen sehr schwer, wieder als geistig gesund eingestuft zu werden. Der Spielfilm „Mein Schulfreund“ mit Heinz Rühmann aus dem Jahre 1960 griff diese Problematik auf.
Nachtrag (23.12.2024): Der Chef des BKA möchte Tat und Hintergründe schnellstens aufklären. Das wirkt aktionistisch, denn die entscheidenden Fragen sind bis auf einen einzigen Punkt geklärt. Der Beschuldigte wollte Menschen töten, und er hat Menschen getötet. Die Mordmerkmale sind Heimtücke (Überraschungsangriff) und gemeingefährliche Mittel. Die einzige Frage, um die es noch geht, ist die Schuldfähigkeit. Bekommt er einen „Jagdschein“, ja oder nein? Derweil möchte die noch-amtierende Innenministerin endlich ihre schärferen Sicherheitsgesetze verabschieden. Vor sog. „Schläfern“ kann man sich jedoch nicht effektiv schützen, weil man ihr Gehirn nicht abhören kann. Die einzige Möglichkeit wäre der Generalverdacht gegen bestimmte Gruppen in der Bevölkerung, aber genau der verstößt bekanntlich gegen die Unschuldsvermutung. Darüber hinaus gibt es auch noch praktische Probleme: Stellen wir uns einfach mal vor, der Beschuldigte, ein Facharzt für Psychiatrie, der im Maßregelvollzug arbeitet, wäre entsprechend eingestuft und überwacht worden. Will man ihn daran hindern, dass er in der Weihnachtszeit mit dem Auto fährt? „Der Schakal“ wird nur im Kino rechtzeitig gestoppt. Nun gab es laut ntv bereits Erkenntnisse aus den Jahren 2013 und 2015, aber was besagten diese? Sie besagten noch bis vor wenigen Tagen, dass er zwar einiges androht, aber letztlich doch nichts macht. Sog. „Maulhelden“ gibt es viele. Wenn man die alle beobachten will, müsste die halbe Bevölkerung IM spielen.
Exkurs: Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kam es vermehrt zu Attentaten gegen die Obrigkeit durch Anarchisten. Daraufhin wurde eine internationale Sicherheitskonferenz einberufen und der Aufbau eines länderübergreifenden polizeilichen Nachrichtendienstes beschlossen, dem Vorläufer von Interpol. War diese Maßnahme erfolgreich? In gewisser Weise schon, denn die Anzahl der Attentate in Europa ging merklich zurück. Dies könnte allerdings auch gesellschaftliche Gründe gehabt haben, denn der Anarchismus wurde zunehmend durch den Marxismus verdrängt.
Meinung: Aktuell wird von beiden Seiten versucht, den Fall politisch zu instrumentalisieren. Diesen Ansatz halte ich für verfehlt. Zum einen liegt hier kein Regierungsversagen vor, weil der Beschuldigte seit 2006 in Deutschland lebt (Asylant seit 2016), und man sich weder gegen „Schläfer“, noch gegen Verrückte verteidigen kann. Zum anderen handelt es sich offenkundig auch nicht um einen rechtsextremen Anschlag, weil das Ziel des Attentäters Deutsche waren. Der Versuch, durch Framing eine falsche Realität zu simulieren, ist Gaslighting in Reinform. Selbst wenn politisch eine Neuauflage der Karlsbader Beschlüsse angestrebt wird, darf der Weg nicht über Desinformation führen. Die Glaubwürdigkeit der Sicherheitsbehörden steht auf dem Spiel.