Ein österreichischer „Plagiatsforscher“ will Ungereimtheiten in der Dissertation der Kandidatin erkannt haben. Diese Behauptung konnte nun durch ein Privatgutachten entkräftet werden. Darin heißt es, die Vorwürfe seien unbegründet und hätten keine Substanz. Vermutlich werden die Kollegen nicht darauf abstellen, dass jeder mit ein paar Filzstiften auf den Seiten rumkritzeln kann, sondern auf das Prioritätsprinzip hinweisen, welches besagt, die zuerst veröffentlichte Arbeit kann per Definition kein Plagiat sein, auch wenn beide Arbeiten zeitgleich verfasst wurden – wie es hier offenbar der Fall war. Was wir hier sehen, ist, dass wir nichts sehen, obwohl wir etwas sehen. Es handelt sich damit um ein Umkehr von „Des Kaisers neue Kleider“. Was wir nicht sehen, ist der böse Schein, denn der ist per Definition unsichtbar. Ein solcher Schandfleck lässt sich durch kein Privatgutachten der Welt entfernen.
An dieser Stelle möchte ich aus dem Nähkästchen plaudern. Auch ich habe mich vor vielen Jahren an einer Dissertation versucht, weil ich der Meinung war, dass man durch einen Doktortitel, dem Adelstitel des kleinen Mannes, gewisse Wettbewerbsvorteile erlangen könne. Ich musste dann jedoch leider feststellen, dass der eigene Beitrag, an einem solchen Werk relativ gering ist. Eine moderne Dissertation besteht hauptsächlich darin, einen Überblick über die Literatur zu erstellen. Das heißt, man reiht die Meinungen irgendwelcher Autoritäten aneinander, die mit einem Fussnotenapparat, der locker die Hälfte des Seitenumfangs ausmachen kann (Beispiel), zu belegen ist. Im Endeffekt läuft es auf eine Form von wissenschaftlicher Echokammer hinaus, die de facto ein einziges „Plagiat“ darstellt. Das steht im völligen Gegensatz zu klassischen Dissertationen, wie sie noch vor 100 Jahren verfasst wurden. Dort hat der Verfasser allein seine Ansicht der Dinge vorgestellt und diese dann im Anschluss vor einem Expertengremium verteidigt. Diese „Verteidigung“ gibt es auch heute noch, aber sie ist zur Formsache verkommen. Weil mir meine Zeit zu schade war, um Zitate zu sammeln, habe ich das Projekt aufgegeben.
Worin besteht nun der Aufhänger für sog. „Plagiatsforscher“? Stellen Sie sich vor, Sie haben ein Thema gewählt, Ihren Doktorvater davon überzeugt, und merken bei der Sammlung der Zitate zu Ihrer völligen Überraschung, dass dazu bereits alles gesagt wurde und demzufolge gar kein Raum mehr für eine eigene Ansicht besteht. Was macht man in einer solchen Situation? Man gibt das Thema nicht zurück, sondern verkauft eine Autoritätenmeinung als die eigene, indem man das Zitat weglässt. Ich würde das natürlich niemals tun, Sie auch nicht, aber manche verfahren so. Genau das ist der Angriffspunkt.