Die Empörung ist groß, denn ein Rentner bekam Besuch vom der Polizei, nachdem er einen vermeintlichen Witz über den Wirtschaftsminister, einen promovierten Philosophen, auf X (vormals Twitter) gepostet hatte. Wurde hier mit Kanonen auf Spatzen geschossen, und was nützt es dem Politiker?

Zunächst einmal ist es erlaubt, Strafanzeige zu stellen, wenn man der Meinung ist, Opfer eine Straftat geworden zu sein. Was später daraus wird, ist Sache der Justiz. Geht eine solche Anzeige bei der Staatsanwaltschaft ein, so schaut der zuständige Dezernent in die Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV). Dort findet er unter Nr. 229 Abs. 1 folgende Ausführungen:

„Von der Erhebung der öffentlichen Klage soll der Staatsanwalt regelmäßig absehen, wenn eine wesentliche Ehrenkränkung nicht vorliegt, wie es vielfach bei Familienzwistigkeiten, Hausklatsch, Wirtshausstreitigkeiten der Fall ist. Liegt dagegen eine wesentliche Ehrenkränkung oder ein Fall des § 188 StGB vor, wird das öffentliche Interesse meist gegeben sein. Auf Nummer 86 wird verwiesen.“

Da hier § 188 StGB im Raum steht, die neugeschaffene bundesdeutsche Version des § 8 des Republikschutzgesetzes der Weimarer Republik, müsste er zur Einstellung des Verfahrens einen Aktenvermerk anfertigen, warum nach seiner Rechtsauffassung ausnahmsweise kein öffentliches Interesse gegeben ist, z.B. weil Satire. Das dürfte in der Praxis kaum vorkommen. Demzufolge wird er die Ermittlungsmaßnahmen anordnen, die bei sog. „Internetvergehen“ üblich sind. Dazu gehört regelmäßig die Hausdurchsuchung, denn es muss nachgewiesen werden, dass besagtes Posting vom Beschuldigten stammt und nicht von einem Familienangehörigen. Insoweit kann man diesen Vorgang, der auf den ersten Blick unverhältnismäßig wirkt, als völlig normal bezeichnen. Das heißt nicht, dass solche Maßnahmen verhältnismäßig wären. Die Härte ist einfach zur Normalität geworden, genau wie Raser als Mörder anzuklagen.

Nützt es dem Politiker, gegen solche Postings vorzugehen? Wegen des Streisand-Effekts möchte ich dies verneinen. Der Name des Politikers wird in der öffentlichen Wahrnehmung auf Dauer mit dem Inhalt des Postings verknüpft bleiben. Wenn wir einen Blick zurück in die Geschichte werfen, dann hat das Republikschutzgesetz auch nichts genützt, eher im Gegenteil. Ich möchte sogar behaupten, die Ablehnung der Regierung nahm mit jeder Verurteilung zu.

 

Nachtrag (18.11.2024): Erneut in Bayern, diesmal jedoch in einer Abwandlung. Es geht nicht um eine Beleidigung gem. § 188 Abs. 1 StGB, sondern um eine Üble Nachrede, bzw. Verleumdung gem. § 188 Abs. 2 StGB. Was ist der Unterschied? Die üble Nachrede betrifft die Behauptung einer ehrenrührigen Tatsache, die sich nicht sicher als wahr erweisen lässt. Die Verleumdung ist Behauptung einer solchen Tatsache in Kenntnis der Unwahrheit. Einfacher formuliert: Üble Nachrede ist die Verbreitung von Gerüchten, die Verleumdung ist eine Lüge.

Was hat das prominente Opfer wirklich gesagt? Es geht um ein Interview bei Maischberger aus dem Jahre 2022, über dessen Inhalt die Presse berichtet hat. Die entsprechende Formulierung beim STERN lautet:

Er könne sich zwar vorstellen, „dass bestimmte Branchen erst einmal aufhören zu produzieren“, das bedeute aber nicht, dass die betroffenen Unternehmen auch insolvent werden. Er sehe wohl, dass Betriebe wie Blumenläden, Bioläden oder Bäckereien Probleme bekämen, weil ihre Kosten stiegen und es eine Kaufzurückhaltung gebe. Aber: „Dann sind die nicht insolvent automatisch, aber sie hören vielleicht auf zu verkaufen.“

Dies wäre z.B. ein Fall gewesen, wo man das Verfahren nach Nr. 229 Abs. 2 RiStBV einstellen könnte, weil die Formulierung zumindest sinngemäß dem Originalzitat entspricht. Wegen solchen Kleinigkeiten stellt sich auch eine Hausdurchsuchung als offenkundig unverhältnismäßig dar.

Nachtrag (08.12.24): Nun hat es auch noch einen Zivilrichter im Ruhestand erwischt. Allerdings halte ich seine Formulierungen auch für sehr provokant. Insoweit muss man sich fragen, ob hier vielleicht ein Verfahren provoziert werden sollte.