In jüngster Zeit wird immer wieder der Versuch unternommen, das Prozesskostenrisiko konkret in Euro und Cent zu beziffern, um auf dieser Basis optimale strategische Entscheidungen treffen zu können. Die Bezifferung geschieht regelmäßig mit Hilfe einer einfachen Formel:
Wert der Forderung = Höhe der Forderung * Chance ihrer Durchsetzbarkeit
Ein solcher Ansatz greift jedoch an zwei entscheidenden Stellen zu kurz:
- Die Wahrscheinlichkeit, mit der die Durchsetzung einer Forderung letztlich gelingen wird, kann im Vorfeld häufig nur geschätzt werden. Dies gilt sowohl für die Durchsetzung der Forderung in ihrer Gesamtheit, als auch für einzelne Elemente der Durchsetzung. Es macht jedoch wenig Sinn, abgesehen von der anspruchsvollen mathematischen Übung, exakte Ergebnisse auf Basis von inexakten Schätzungen zu ermitteln, weil sich die Unsicherheit der Schätzung als sogenanntes „Artefakt“ im Ergebnis fortsetzt. Mit anderen Worten, wenn die Annahmen stimmen, dann stimmt auch das Ergebnis, aber ob die Annahmen stimmen, wissen wir nicht.
- Es wird regelmäßig ausgeblendet, dass gerichtliche Verfahren in Deutschland nicht kostenlos verloren werden. Sollte sich eine Forderung mit einer Wahrscheinlichkeit von immerhin 70% gerichtlich durchsetzen lassen, so hat man dennoch in 30% der Fälle die Kosten der Niederlage zu tragen. Sollte sich das Verfahren gar über mehrere Instanzen ziehen und der Gegner erstmals in der letzten Instanz gewinnen, so können die Prozesskosten bisweilen die Höhe der Ausgangsforderung erreichen. Wer nun auf die brilliante Idee kommt, wenigstens die (Fehl-)Urteile der Vorinstanzen im Wege der Amtshaftung abzuwickeln, für den hält der Gesetzgeber eine kleine Überraschung bereit: Das Richterprivileg des § 839 Abs. 2 BGB. Der Staat haftet nicht für die Fehler seiner Gerichte. Dieses Risiko trägt der Letztunterliegende voll und ganz. Ob das fair ist, kann dahinstehen, denn es lässt sich leider nichts daran ändern.
Konklusion:
Eine Forderung hat in Deutschland nur selten den vollen Wert, weil das Prozessrisiko regelmäßig größer als Null ist und insbesondere die Kosten einer möglichen Niederlage prozentual in Abzug zu bringen sind. In vielen Fällen ist ein Euro vor deutschen Gerichten wirklich nur noch eine D-Mark wert.
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