Ein weiteres Beispiel für die geschönte Darstellung der Vorgänge rund um die Geschichte der SPD, ist der „Königsberger Geheimbundprozess“ von 1904.

Was lag der Anklage zugrunde? Neun Sozialdemokraten hatten mutmaßlich Schriftgut von Anarchisten aus der Schweiz (s. Lenin) in das russische Kaiserreich geschmuggelt. Die deutsche Staatsanwaltschaft hatte von den russischen Kollegen bei der Aufklärung offenbar einen heißen Tipp erhalten. Dem sozialdemokratischen Anwalt Hugo Haase war es zu verdanken, dass drei der neun Angeklagten freigesprochen wurden. Sein Argument, dass das Einschleusen sozialdemokratischer Schriften nach Russland weder nach deutschem, noch nach russischem Strafrecht strafbar war, hatte offenbar das Gericht überzeugt. Strafverteidiger Haase wurde übrigens sieben Jahre später SPD-Vorsitzender.

Wir halten jedoch fest, dass sechs der neun Angeklagten verurteit wurden, und zwar wegen Geheimbündelei. Die war durchaus strafbar, sogar bis 1968. Das ist übrigens auch der Grund, warum der „Königsberger Geheimbundprozess“ „Geheimbundprozess“ heißt, und nicht „Wahndeliktsprozess„.

§ 128 Abs. 1 StGB a. F. lautete:

Die Theilnahme an einer Verbindung, deren Dasein, Verfassung oder Zweck vor der Staatsregierung geheim gehalten werden soll, oder in welcher gegen unbekannte Obere Gehorsam oder gegen bekannte Obere unbedingter Gehorsam versprochen wird, ist an den Mitgliedern mit Gefängniß bis zu sechs Monaten, an den Stiftern und Vorstehern der Verbindung mit Gefängniß von einem Monat bis zu einem Jahre zu bestrafen.

Die Formulierung mag aus heutiger Sicht etwas hölzern klingen, aber es ging dabei im Kern um einen „Verein“, dessen Existenz entweder vor den Behörden geheimgehalten wird, dessen Drahtzieher unbekannt sind, oder dessen Vorsitzenden selbst Drahtzieher waren. Heute würde man darunter eine Mischung aus subversiven Zellen, zwielichtigen NGOs und der Mafia verstehen. Dies traf offenbar auch auf die sechs verurteilten Sozialdemokraten zu.

Zu den konkreten Beziehungen von Bebel zu Lenin konnte ich leider nur einen Brief finden. Bebel wurde jedoch von Lenin des öfteren positiv erwähnt. Dass sich SPD und KPD in der DDR vereinigt haben, überrascht nicht. Es überrascht auch nicht, dass sich dies zwischen WASG und PDS wiederholte. Sollte sich die SPD noch stärker den 10% annähern und die LINKE noch häufiger an der 5%-Hürde scheitern, dürfte bald die dritte Vereinigung anstehen. Fairerweise ist anzumerken, dass die Vorgänge vor 115 Jahren natürlich nichts mit der SPD von heute zu tun haben. Die „gute alte Zeit“ ist zwar schon lange vorbei, die Geschichte zeigt jedoch, dass Heiner Geißer und Wolfang Clement bei der Beurteilung der Partei letztlich gar nicht so stark divergierten.

 

P.S.: Drei Details am Rande, die wahrscheinlich nur rein zufällig korrelieren:

  1. Lenin bezeichnete im Jahre 1913 einen Krieg zwischen Österreich und Russland als nützlich für die Revolution.
  2. Ein Komplize des Attentäters Gavrilo Princip, Danilo Ilic, hat offenbar für das sozialistische Blatt „Zvono“ geschrieben.
  3. Im März 1917 wurde der Antrag schweizer Sozialdemokraten, Lenin die Durchreise zu erlauben, von deutschen Behörden genemigt.