Die LTO berichtet über einen Examens-Cliffhanger, der sich seit dem Jahre 2013 hinzieht. Ein Richter hatte damals Examenslösungen gegen Geld und andere Vorteile verkauft. In der Folge wurde einer Reihe von Junganwälten rückwirkend das Staatsexamen aberkannt. Einige der Betroffenen haben im Rahmen des Verfahrens ein Geständnis abgelegt, für die kommt jede Hilfe zu spät, andere haben die Verschwörungstheorie des JPA bestritten und den Rechtsweg eingeschlagen. Eine hat Glück gehabt, denn hat das OVG Niedersachsen hat ihr – vielleicht nicht ganz so überraschend – Recht gegeben.
Hübsch finde ich dabei die folgende Passage:
Eine Täuschung der Klägerin sei nicht nachweisbar, so das OVG. Zwar lägen Übereinstimmungen der Klausuren mit den amtlichen Prüfvermerken vor. Dies genüge für sich genommen jedoch nicht, um von einer Kenntnis der Lösungsskizze durch die Klägerin ausgehen zu können. Bei guten Examenskandidaten sei gerade zu erwarten, dass ihre Ausführungen dem Lösungsvermerk nahekommen. [Capt. Obvious? – Anm. d. Verf.] ..
Auffällig fanden das LJPA und das VG Lüneburg unter anderem den Notensprung zwischen dem ersten Staatsexamen, das sie beim ersten Mal nicht bestanden hatte, und dem zweiten Staatsexamen, in dem sie 10,89 Punkte ergatterte. Auch hohe Geldbeträge, die sie an den Repetitor gezahlt hatte, und große Barabhebungen machten stutzig.
Die Bremerin erklärte, sie habe einmal 17.000 Euro für Einzel- und Gruppenunterricht bei einem Repetitor ausgegeben. Ihre Familie sei vermögend, darüber habe man nicht groß reden müssen. Zu dem Anwalt, der auch als Zeuge auftrat, habe sie ein professionelles Verhältnis gehabt. Eine Barabhebung von 32.000 Euro vor dem Examen erklärte die Klägerin damit, dass sie Möbellieferungen und Handwerkerleistungen für drei Gästezimmer im Haus ihrer Mutter auf Sylt bezahlt habe. Auch weitere 8.000 Euro habe sie bar bei ihrer Bank abgehoben, um auf Sylt ein paar Tage zu verbringen und Bekannte zum Essen einzuladen.
Besonders hübsch: „Der Senat hat die Revision an das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) nicht zugelassen.“
Hier wurden die Anforderungen für den Nachweis einer Täuschung mal wieder offenkundig überspannt. Absolute Sicherheit ist nicht erforderlich. Es reicht zur Beweisführung aus, dass vernünftige(!) Zweifel schweigen, und die schweigen hier mit absoluter Sicherheit. Sollte die Entscheidung vor dem BVerwG halten, wozu erst mal eine erfolgreiche Nichtzulassungsbeschwerde notwendig wäre, würde dies bedeuten, dass ein Täuschungsversuch nur nachweisbar ist, wenn die Kandidaten von der Klausuraufsicht mit der Hand in der Keksdose erwischt werden.
Mir scheint, dass es diesbezüglich ganz reale Sachzwänge gibt. Viele Repetitorien werben nämlich gerne mit ihren sog. „Volltreffern“. Gemeint ist das intelligente Raten, welcher Fall aus der aktuellen Rechtsprechung im Examen drankommen könnte. Wer den Clou der Lösung kennt, hat einen massiven Wettbewerbsvorteil. Demzufolge gibt es auch einen regelrechten Kult um die professionellen „Seher“. Wie diese Fähigkeit vermarktet wird, kann man sich z.B. hier und hier anschauen. Wie die „Seher“ darauf gekommen sind, die in der Regel hervorragend vernetzt sind, weiß natürlich niemand. Will man nun hinterher allen das Examen aberkennen, die einen solchen Kurs besucht haben, nur weil herauskommt, dass es eine Seilschaft bis ins Prüfungsamt gab? Wenn ja, dann könnte es am Ende sogar OVG-Richter erwischen. Wer glaubt, die Juristenausbildung sei „rotten to the core“, könnte damit richtig liegen.
P.S.: Was die hohen Unterrichtskosten anbetrifft, so gibt es auch im Hochpreissegment entsprechende Anbieter am Markt. Dabei besteht natürlich immer die Gefahr, an Scharlatane zu geraten. Im vorliegenden Fall hat sich die Investition jedoch gelohnt, denn mit 10,89 Punkten liegt man im Top-1%-Bereich.