Nach Ende des 2. Weltkriegs standen die Alliierten vor dem Problem, wie mit den besiegten Achsenmächten, insbesondere in Europa, zu verfahren sei. Dafür wurde, ähnlich wie schon nach Ende des 1. Weltkriegs, Deutschland, diesmal zwar nicht vertraglich, aber zumindest moralisch die alleinige Kriegsschuld auferlegt. Italien und das frisch abgetrennte Österreich kamen mit einem blauen Auge davon und durften sich zu Opfern des Faschismus erklären, obwohl dieser von Italienern erfunden wurde, und 99,73% der Österreicher für den Anschluss an das Deutsche Reich gestimmt hatten.

Die Pläne der Alliierten für Deutschland, die 1945 im Postdamer Abkommen beschlossen wurden, sahen bekanntlich die „vier Ds“ vor: Demilitarisierung, Dezentralisierung, Demokratisierung und Denazifizerung. Zur konkreten Umsetzung bediente man sich der Konzepte, die man bereits 1944 in Quebec beschlossen hatte. An dieser Stelle kommt immer wieder Verwirrung auf, denn damals wurde ein „Morgenthau Plan“ beschlossen, benannt nach Henry Morgenthau, der das amerikanische Positionspapier verfasst hatte, mit dem Roosevelt angereist war. Morgenthaus Forderungen wurden jedoch nie unter seinem Namen umgesetzt, sie flossen vielmehr direkt in die Join Chief of Staff Directive 1067 ein. In der deutschen Wikipedia fehlt dieser Hinweis, weil er die Bevölkerung vermutlich verunsichern könnte. Vielleicht wurde auch nur schlampig gearbeitet, man weiß es nicht.

Die Direktive 1067 hatte zur Folge, dass in Deutschland Demontagen vorgenommen wurden, d.h. es wurden in Deutschland entweder ganze Fabriken demontiert und ins Ausland abtransportiert, oder sie wurden zerstört. Um diese Maßnahmen in der Bundesrepublik zu stoppen schloss Adenauer das Petersberger Abkommen. Er wurde deshalb von Kurt Schumacher (SPD) als „Kanzler der Allierten“ bezeichnet. Festhalten kann man jedenfalls, dass das Petersberger Abkommen, das die bundesdeutsche Kohle- und Stahlproduktion unter fremde Aufsicht stellte und damit im Ergebnis ein wesensgleiches Minus zur Demontage der deutschen Schwerindustrie war, denn sonst hätten die Alliierten nicht zugestimmt.

1955 wurden die Pariser Verträge geschlossen. Die Bundesrepublik erhielt damit die Teilsouveränität. Damit endete auch formal das Besatzungstatut. Dabei ist wichtig, welche Zuständigkeiten die Alliierte Hohe Kommission bis zu diesem Zeitpunkt hatte:

  • Entwaffnung und Entmilitarisierung einschließlich der damit in Beziehung stehenden Gebiete der wissenschaftlichen Forschung, Verbote und Beschränkungen der Industrie und die Zivilluftfahrt
  • Kontrolle über die Ruhr, die Restitutionen, Reparationen, Dekartellisierung, Dezentralisation, Ausschluss von Diskriminierungen in Handelsangelegenheiten, die ausländischen Interessen in Gesamtdeutschland und die Ansprüche gegen Deutschland
  • Auswärtige Angelegenheiten einschließlich der von Deutschland oder in seinem Namen getroffenen internationalen Abkommen
    „Displaced Persons“ (verschleppte Personen) und Aufnahme von Flüchtlingen
  • Schutz, Prestige und Sicherheit der Alliierten Streitkräfte, Familienangehörigen, Angestellten und Vertreter, ihre Immunitäten und das Aufkommen für die Besatzungskosten und für ihre anderen Anforderungen
  • Beachtung des Grundgesetzes und der Länderverfassungen
  • Überwachung des Außenhandels und der Devisenwirtschaft
  • Überwachung innerer Maßnahmen, aber nur in dem Umfang, der erforderlich ist, um die Verwendung von Geldmitteln, Lebensmitteln und sonstigen Bedarfsgütern in der Weise sicherzustellen, dass Deutschlands Bedarf an ausländischer Unterstützung auf ein Mindestmaß herabgesetzt wird
  • Überwachung der Versorgung und Behandlung in deutschen Strafanstalten von Personen, die vor Gerichten oder Tribunalen der Besatzungsmächte oder Besatzungsbehörden angeklagt oder von ihnen verurteilt worden sind; die Überwachung der Vollstreckung von Strafurteilen gegen solche Personen und in Angelegenheiten ihrer Amnestierung, Begnadigung und Freilassung

 

Wer aufgepasst hat, wird sich denken können, wie die Geschichte weitergeht: Zwei Jahre später unterzeichnete Adenauer die Römischen Verträge. Damit wurde die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft geschaffen, welche seither die deutsche Wirtschaft überwacht, und weil zufällig es gerade passte, die EGKS (Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl) und die EURATOM gleich mit. Zugleich hat man auch noch den Europäischen Gerichtshof gegründet. Die Kontrolle der gesamten bundesdeutschen Wirtschaft, der Kohle- und Stahlproduktion und der besonders kritischen Atomkraftwerke, in den Atomwaffen hergestellt werden könnten, durch europäische Organisationen könnte möglicherweise ein wesengleiches Minus zum Bestatzungsstatut sein.

Der europäische Gerichtshof hat sich dann knapp zwei Wochen nach Unterzeichnung des Elysee-Vertrages durch Adenauer über die nationalen Gerichte der Mitgliedsstaten erhoben, und damit auch über das Bundesverfassungsgericht, quasi im Wege der Selbstermächtigung.

Eine der ersten Entscheidungen, die nach dem Amtsantritt Helmut Schmidts erfolgte, das Timing war natürlich rein zufällig, ist der Solange I-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, mit dem man die Macht nach Karlsruhe zurückholte. Es verwundert wohl auch nicht, dass das Bundesverfassungsgericht 1986 unter Helmut Kohl seine Kompetenzen im Solange II-Beschluss an den EUGH zurückgegeben hat. Das war auch wichtig, denn 1987 wurde mit der Einheitlichen Europäischen Akte der Umbau der EWG beschlossen. Dem durften natürlich deutsche Kläger nicht im Wege stehen.

Bei der Wiedervereinigung war es dann auch eine zentrale Forderung Frankreichs, dass Deutschland sich noch stärker in die EU einbinden lässt. In der Folge soll der französische Präsident Mitterand mutmaßlich den Wahlkampf Helmut Kohls mit Spenden unterstützt haben. Kohl hatte derweil einen innerparteilichen Putschversuch abgewendet. So kam es dann zur Unterzeichnung des Vertrages von Maastricht, welcher selbstverständlich auch vom Bundesverfassungsgericht abgesegnet wurde. Der Vertrag von Maastricht stellt nach Auffassung seiner Kritiker ein wesensgleiches Minus zum Versailler Vertrag dar. Wenn man ihn in Verbindung mit den Bonner Verträgen und dem 2+4 Vertrag sieht, dann ist die Konstruktion sogar weitgehend identisch.

 

 

Wer sich wundert, warum die Bundesrepublik mit ähnlichen, oftmals sogar mit denselben, Problem zu kämpfen hat, wie bereits die Weimarer Republik, findet hier die Antwort. Die Probleme ähneln sich, weil sich über Jahrzehnte Schritt für Schritt die Ausgangslage angenähert hat.

Wer sich z.B. fragt, wieso deutsche Konzerne vom Ausland übernommen und zerschlagen werden, sog. Heuschreckenbebatte, wird fündig bei der EU-Übernahmerichtlinie, gegen die Gerhard Schröder, als er hierzulande noch etwas zu sagen hatte, – selbstverständlich erfolglos – Sturm gelaufen ist. Diese Richtlinie ist eine typischen Folgen des Vertrages von Maastricht, mit dem man damals das Einstimmigkeitserfordernis beseitigt hat. Deutschland kann seither von seinen wirtschaftlichen Konkurrenten überstimmt werden. Wenn in Deutschland heute ein Unternehmen übernommen und zerschlagen wird, dann ist das im Prinzip wie eine Demontage nach der JCS 1067, lediglich in anderer Form. Es fahren keine britischen und amerikanischen Panzer mehr vor Fabriken auf und es wird auch kein Tränengas gegen die protestierende Belegschaft eingesetzt. Heute geschieht alles freundlich und einvernehmlich.

Zum Abschluss eine weitere Parallele, die eine umstrittene Entwicklung erklären könnte: Schon 1922 war klar, dass Deutschland von seinen europäischen Partnern nur wenig Entgegenkommen erwarten konnte. Damals entschied man sich dazu mit dem Vertrag von Rapallo, wirtschaftliche Beziehungen mit der Sowjetunion aufzunehmen. Eine ähnliche Ausgangslage könnte Schröder 2004 zu seiner Männerfreundschaft mit dem Gottseibeiuns motiviert haben.