Nun ist das passiert, was seit geraumer Zeit absehbar war: Das polnische Verfassungsgericht hat EU-Recht teilweise für verfassungswidrig erklärt. Das kommt nicht überraschend, denn ein ähnlicher Vorgang hat sich erst jüngst in Deutschland ereignet, doch die Entscheidung des Voßkuhle-Senats konnte letztlich durch seinen Nachfolger gekonnt mit den üblichen juristischen Begründungsschablonen umschifft werden.

Historisch begann die Selbstermächtigung des EuGH direkt im Anschluss an den Elysee-Vertrag mit der Van-Gent&Loos-Entscheidung, auf die nur ein Jahr später die Costa/Enel-Entscheidung folgte. Zusammenfassend kann man sagen: Der EuGH hat festgestellt, dass sich seine Ermächtigung aus der Auslegung der Europäischen Verträge ergäbe. Mit anderen Worten: Es steht dort nirgends, aber man kann es quasi hereinlesen. Das alles lief auch so wunderschön, bis das Bundesverfassungsgericht der Party 13 Tage nach dem Amtsantritt Helmut Schmidts mit der Solange-I-Entscheidung ein Ende bereitete. Dann kam es wie es kommen musste: Die EG beschloss 1985 die Einheitliche Europäische Akte und kurz nach deren Inkfrafttreten erklärte das Bundesverfassungsgericht in der Solange-II-Entscheidung seine Unterwerfung. Die Bundesrepublik Deutschland war damit de facto gleichgeschaltet.

Das ist zwar alles sehr schön und nett, doch mit Polen steht nun ein anderer Player im Fokus, der schon früher wenig Bereitschaft für Zugeständnisse gezeigt hat. Dabei hat man sich natürlich immer auf starke Verbündete gestützt. So ist es auch kein Wunder, dass die Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichts nur einen Tag nach dem Bekenntnis der EU zu mehr Souveränität gegenüber den USA ergeht. Die Visegrad-Staaten, allen voran Polen, sehen in den USA nach wie vor die wichtigste Schutzmacht. Bei den französischen Plänen wollen sie nicht zum Mitmachen gezwungen werden.

Damit haben wir möglicherweise eine ähnliche Situation wie 1938. Polen wird durch seine anglo-amerikanischen Einflüsterer zu einer Hardliner-Politik verleitet, die das gesamte europäische Projekt in Frage stellt. Es ist absehbar, dass auch das ungarische Verfassungsgericht feststellen wird, dass ihm der EuGH keine Vorschriften zu machen hat. Damit wäre es England einmal mehr gelungen, Europa in die Luft zu sprengen, wie es schon in den letzten 500 Jahren ausnahmslos geglückt ist. Die BBC hat daraus einen Sketch gemacht, aber in jedem Witz steckt bekanntlich ein Fünkchen Wahrheit. Damit bei der Bevölkerung Zustimmung generiert wird, läuft in den polnischen Medien – fast so extrem, wie bei uns – tagtäglich antideutsche Propaganda, denn die Dritte Republik definiert sich kausal durch den Zweiten Weltkrieg. Der deutsche Angriff auf Polen wird gleichgesetzt mit der Vertreibung aus dem Paradies.