Nach einer gewalttätigen Ausschreitung in Lübeck warnt die Polizei von der Verbreitung entsprechender Videoaufnahmen in den sozialen Medien. Nicht erwähnt wird die Strafnorm, § 131 StGB. Bei solchen Normen, die auf den ersten Blick sonderbar wirken, macht es Sinn, sich die Entstehungsgeschichte anzuschauen. Im Jahre 1872, als Paragraphen noch kurz und übersichtlich formuliert waren, lautete die Formulierung wie folgt:
§ 131. Wer erdichtete oder entstellte Thatsachen, wissend, daß sie erdichtet oder entstellt sind, öffentlich behauptet oder verbreitet, um dadurch Staatseinrichtungen oder Anordnungen der Obrigkeit verächtlich zu machen, wird mit Geldstrafe bis zu zweihundert Thalern oder mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft.
Offenkundig ging es um die Bekämpfung falscher bzw. entstellender Behauptungen mit Staats- bzw. Regierungsbezug. Thematisch erinnert die Norm an den berüchtigten § 1 Heimtückegesetz und war praktisch unverändert bis 1973 in Kraft.
Die geänderte Version, eine der letzten Amtshandlungen der Regierung Brandt, war bereits an der Überschrift zu erkennen und erinnert sprachlich wenig überraschend an § 146 StGB-DDR, Verbreitung von Schund- und Schmutzerzeugnissen. Die neue Ostpolitik stützte sich offenbar auf gemeinsame Werte.
§ 131. Verherrlichung von Gewalt; Aufstachelung zum Rassenhaß. (1) Wer Schriften, Ton- oder Bildträger, Abbildungen oder Darstellungen, die Gewalttätigkeiten gegen Menschen in grausamer oder sonst unmenschlicher Weise schildern und dadurch eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrücken oder die zum Rassenhaß aufstacheln,
1. verbreitet,
2. öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht,
3. einer Person unter achtzehn Jahren anbietet, überläßt oder zugänglich macht oder
4. herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, ankündigt, anpreist, in den räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes einzuführen oder daraus auszuführen unternimmt, um sie oder aus ihnen gewonnene Stücke im Sinne der Nummern 1 bis 3 zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Darbietung des in Absatz 1 bezeichneten Inhalts durch Rundfunk verbreitet.
(3) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht, wenn die Handlung der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte dient.
(4) Absatz 1 Nr. 3 ist nicht anzuwenden, wenn der zur Sorge für die Person Berechtigte handelt.
Im Jahre 1994 verschwand der Begriff „Rassenhass“ aus der Norm, weil dieser zeitgleich in § 130 StGB (Volksverhetzung) gewandert ist. Die vorerst letzte Reform gab es im Jahre 2015, anlässlich der sog. „Flüchtlingskrise“. Hinzugekommen ist die Strafbarkeit des Zugänglichmachens in den Sozialen Medien.
§ 131. Gewaltdarstellung. (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
1. eine Schrift (§ 11 Absatz 3), die grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen in einer Art schildert, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt,
a) verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht,
b) einer Person unter achtzehn Jahren anbietet, überlässt oder zugänglich macht oder
2. einen in Nummer 1 bezeichneten Inhalt mittels Rundfunk oder Telemedien
a) einer Person unter achtzehn Jahren oder
b) der Öffentlichkeit
zugänglich macht oder
3. eine Schrift (§ 11 Absatz 3) des in Nummer 1 bezeichneten Inhalts herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, bewirbt oder es unternimmt, diese Schrift ein- oder auszuführen, um sie oder aus ihr gewonnene Stücke im Sinne der Nummer 1 Buchstabe a oder b oder der Nummer 2 zu verwenden oder einer anderen Person eine solche Verwendung zu ermöglichen.
[2] In den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 und 2 ist der Versuch strafbar.
(2) Absatz 1 gilt nicht, wenn die Handlung der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte dient.
(3) Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b, Nummer 2 Buchstabe a ist nicht anzuwenden, wenn der zur Sorge für die Person Berechtigte handelt; dies gilt nicht, wenn der Sorgeberechtigte durch das Anbieten, Überlassen oder Zugänglichmachen seine Erziehungspflicht gröblich verletzt.
Während das Motiv in der Urfassung die Verächtlichmachung von Staatseinrichtungen oder Anordnungen der Obrigkeit war, erfordert die Norm mittlerweile die Verherrlichung, bzw. die Verharmlosung von Gewalt, oder die Verletzung der Menschenwürde der Opfer, also im Prinzip niedrige Beweggründe. Ferner ist an den Ausschlusstatbestand in Abs. 2 zu erinnern. In Betracht kommt bei Videos von Gewalttaten zudem noch eine mögliche Strafbarkeit gem. § 201 a StGB. Den § 33 KunstUrhG gibt es natürlich auch noch. Wie so oft kommt es auf den Einzelfall an.
P.S.: Interessant ist in diesem Zusammenhang das umstrittene Video aus Chemnitz. Gewalt ist dort zwar nicht zu sehen, aber die Drohung steht im Raum.