Nachdem ich neulich etwas zu Game of Thrones geschrieben habe, möchte ich heute auf die zentrale Hypothese eingehen, um die sich praktisch die ganze Serie dreht. In S02E03 stellt Geheimdienstchef Varys, der nicht ohne Grund gewisse Ähnlichkeit zu Carnaris aufweist, Tyrion Lannister ein Rätsel:

Ein König, ein Priester und ein reicher Mann bitten einen Söldner, die jeweils beiden anderen umzubringen. Wer überlebt am Ende?

Tyrion meint, es gäbe keine eindeutige Lösung, denn es überlebe derjenige, der von dem Söldner ausgewählt werde. Der Söldner habe die Macht über Leben und Tod. Wenn dem so wäre, entgegnet Varys, würden wir von Söldnern regiert. Dem ist jedoch nicht so. Varys präsentiert daraufhin seine Lösung:

Die Macht liegt dort, wo Menschen sie vermuten, denn Macht ist nur ein Trick, ein Schatten an der Wand. Aber auch Schatten können töten, und selbst keine Männer können lange Schatten werfen.

Der Handlungsverlauf von Game of Thrones macht große Anstrengungen, um diese Hypothese zu beweisen. Jamie Lannister ermordet einen König, seine Schwester Cersei ermordet den Hohen Priester und Tyrion ermordet einen „reichen Mann“, seinen Vater, und alle drei kommen ungeschoren davon. Ein Protagonist wird von einem Schatten umgebracht, dem Todeszauber einer Priesterin. Am Ende setzt sich Tyrion, offenkundig ein kleiner Mann, mit seinen Ideen durch. Das alles ist jedoch keine echte Beweisführung, denn sie stammt vom Autor. Er hätte die Geschichte auch anders entwickeln können.

Das eigentliche Problem, das dieses Rätsel so interessant macht, ist nicht die Hierarchie der Macht, sondern ihre Beständigkeit. Der König hat die Macht, so lange er als König anerkannt wird. Der Priester hat die Macht, so lange seine Religion anerkannt wird. Der reiche Mann hat die Macht, so lange er sein Geld hat. Nun könnte man die Frage stellen, welche Position historisch gesehen die fragilste ist. Wir kennen z.B. aus der Geschichte deutlich mehr reiche Männer, die alles verloren haben, als Staatsreligionen, die durch andere abgelöst wurden, es gibt aber auch deutlich mehr reiche Männer als Religionen.

Die Macht hat, wer ungehindert über Leben und Tod entscheiden kann. In der Serie war dies Daenerys Targaryen mit ihren drei Drachen. Das ist übrigens auch der Grund, warum der Atomwaffensperrvertrag so wichtig ist. Die Beobachtung, wir werden nicht von Söldnern regiert, greift zu kurz, weil sie das Ressourcenproblem ignoriert. Ein Söldner mag in einem begrenzten Gebiet für einen gewissen Zeitraum die Entscheidung über Leben und Tod haben, aber seine Ressourcen sind begrenzt. Er kann nicht dauerhaft das gesamte Staatsgebiet kontrollieren. Deshalb vertraut er sein Schicksal dem an, dem er diese Ressourcen zutraut. Nur deshalb werden wir nicht von Söldnern regiert. Sie möchten, aber sie können nicht. Das reguläre Militär hat typischerweise kein solches Ressourcenproblem. Wir werden aber auch nicht von Militärs regiert, weil die sich in der Regel an ihren Diensteid gebunden fühlen. Es gibt jedoch auch Ausnahmen, wie z.B. den Kapp-Putsch. Deshalb hat die Bundeswehr auch keinen Oberkommandeur, sondern „nur“ einen Generalinspekteur.