Die Legal Tribune Online, ein mediales Angebot des niederländischen Wolters Kluwer Verlages, dessen Vorstandsvorsitzende aus den USA stammt, hat den bekannten Strafrechtsexperten und Herausgeber eines beliebten Praktikerkommentars Prof. Dr. VorsRiBGH a.D. Thomas Fischer gefragt, ob es sich bei dem (teilweise aus den USA finanzierten) Verein „Letzte Generation“ um eine kriminelle Vereinigung handelt.

Seine Antwort ist hochgradig ungewöhnlich, denn Richter pflegen üblicherweise in den booleschen Kategorien [true/false] bzw. [schuldig/nicht schuldig] zu denken und insbesondere auch zu urteilen. Er meinte in der Zusammenfassung am Ende:

Die „Letzte Generation“ als Gesamt-Zusammenschluss von „Aktivisten“ erfüllt die Voraussetzungen des § 129 StGB (Kriminelle Vereinigung) vermutlich nicht.

Um das grundsätzliche Problem mit dieser Aussage aufzuzeigen: [wahr/unwahr/wahrscheinlich/unwahrscheinlich] gibt es allenfalls bei Tatsachen, aber nicht bei Rechtsfragen. Die Antwort auf eine Rechtsfrage ist immer eine Meinung. Die Kategorien lauten [vertretbar/unvertretbar]. Fischer bringt mit seiner Formulierung zum Ausdruck, ist dass er sich selbst nicht traut. Entweder hat man eine Meinung, oder man hat keine, aber man hat nicht vermutlich eine.

Es kommt aber noch besser, denn diese sonderbare Schlussfolgerung, die er am Ende zieht, findet in seinen vorangestellten detaillierten Erläuterungen keinerlei Grundlage. Er verweist sogar explizit auf die Entstehungsgeschichte des § 129 StGB, dessen Abs. 1 in seiner Urfassung wie folgt lautete:

Die Theilnahme an einer Verbindung, zu deren Zwecken oder Beschäftigungen gehört, Maßregeln der Verwaltung oder die Vollziehung von Gesetzen durch ungesetzliche Mittel zu verhindern oder zu entkräften, ist an den Mitgliedern mit Gefängniß bis zu einem Jahre, an den Stiftern und Vorstehern der Verbindung mit Gefängniß von drei Monaten bis zu zwei Jahren zu bestrafen.

Die Neufassung aus dem Jahre 1951 meint nicht etwas völlig anderes, sondern der Anwendungsbereich wurde lediglich ausgedehnt. Bestraft wird nicht mehr nur die rechtswidrige Sabotage der öffentlichen Verwaltung, sondern jegliche Form von Kriminalität ab einem bestimmten Strafmaß.

Dass es sich bei der „Letzten Generation“ um eine kriminelle Vereinigung handelt, ist evident. Das wissen die sogar selbst, denn sonst würden sie keine Persönlichkeitsprofile über die Bereitschaft erstellen, ggf. im Gefängnis zu sitzen. Warum sich Fischer drückt, das Kind beim Namen zu nennen, obwohl er sich in diesem Zusammenhang noch zuletzt für Freiheitsstrafen aussprach, ist unklar. Vielleicht war es auch einer gewissen Rücksichtnahme geschuldet. Dass amerikanische Philanthropen eine kriminelle Vereinigung finanziell unterstützen, klingt nicht schön. Unsere Partner könnten verunsichert werden.

Apropos Finanzierung: Heute gab es eine deutschlandweite Durchsuchung.

Nachtrag (25.05.2023): Einfach nur köstlich, ist die Bewertung der Razzia durch die „Junge Welt“, einer linken Postille, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Irgendwer hat sich dort offenbar freihändig zusammengereimt, dass die sog. „Bereicherungsabsicht“ ein (ungeschriebenes) Merkmal krimineller Vereinigungen sei. Mal abgesehen davon, dass die Aktivisten für ihre Aktionen bezahlt werden (= gewerbsmäßiges Handeln?), gibt es dagegen ein systematisches Argument: § 129 StGB steht im 7. Abschnitt, bei den „Straftaten gegen die öffentliche Ordnung„.

Update (02.06.2023): Die Scheindiskussion geht in die nächste Runde. Diesmal stehen sich der Altmeister und mein ehemaliger Strafrechtsrepetitor Prof. Dr. Matthias Jahn gegenüber. Auch Letzterer scheint von ungeschrieben Tatbestandsmerkmalen zu träumen, die er offenbar aus der Tiefe des Raumes einschweben lässt. Dass er gerne mal zu einer kreativen Auslegung des Gesetzes neigt, konnte er bereits im sog. „Daschner-Fall“ unter Beweis stellen.

Update (11.06.2023): Wie, nur 580 Straftaten? Ich dachte, es wären deutlich mehr.

Update (22.07.2023: Die Einschätzung der Berliner Justizverwaltung ist natürlich grob falsch. Es handelt sich dabei nur um ein internes Gutachten. Ob es als Deckmantel genutzt wird, um Strafvereitlung im Amt zu begehen, wäre abzuwarten. Überraschend käme es nicht, da offenbar politischer Wille besteht.