Wer sich für das Verfahren Depp ./. Heard interessiert, wird nicht nur bemerkt haben, dass amerikanische Zivilverfahren völlig anders ablaufen, als bei uns, sondern dem dürfte auch die Berichterstattung insbesondere in den sozialen Medien nicht entgangen sein. Dort ist ein sonderbares Phänomen zu beobachten, nämlich eine völlig einseitige Darstellung komplett zu Lasten der Beklagten. Den vermeintlichen Vogel schießt ein Influencer ab, genau genommen ein Videospieler, der den Prozessverlauf live kommentiert und dabei auf Twitch bis zu 200.000 Zuschauer hat. Selbstverständlich lässt auch er keine Chance aus, um Stimmung gegen Frau Heard zu machen und über RA Rottenborn zu lachen. Wer im Chat dagegenhält, wird temporär gebannt.

Es kann natürlich sein, dass Youtube insoweit eine Bubble erzeugt, aber das alles hat bislang den Anschein einer medialen Kampagne des Teams Depp. Es würde mich jedenfalls nicht wundern, denn heutzutage darf man sich über gar nichts mehr wundern. Gezielt ist diese Kampagene natürlich auf die Jury, bei der man offenbar darauf hofft, dass sie – entgegen den ausdrücklichen Anweisungen des Gerichts – privat davon Kenntnis nimmt. Wie gesagt, ich weiß es nicht mit Sicherheit, aber das wäre meine erste Ermittlungshypothese. Gut, die können natürlich auch allesamt Trittbrettfahrer sein.

In Deutschland gibt es so etwas natürlich nicht, und schon gar nicht im Zivilprozess. Videoübertragungen gibt es auch nicht. Hier läuft praktisch fast alles schriftlich. In der mündlichen Verhandlung werden auch keine großen Reden gehalten und auf die Tränendrüse gedrückt, sondern eher wie bei einem Kaffeekränzchen unter Kollegen nett geplaudert. Dabei befindet in der Regel das Urteil bereits komplett ausformuliert in der Seitentasche der Richterakte. Im Gegensatz zu einer Erfolgsbeteiligung in Millionenhöhe, verdient ein deutscher Anwalt in einem solchen Verfahren so gut wie gar nichts. Im Erfolgsfall bekäme Herr Depp bei uns allenfalls auch nur einen Bruchteil. Das Verfahren in Deutschland ist am französischen Inquisitionsprozess orientiert, bei dem der Richter alles dominiert. Man ist freundlich zueinander, respektiert die Kollegen, niemand wird vorgeführt oder gar als inkompetent geoutet, wundervoll.

Juristisch gibt es auch wichtigen Unterschied: Während es bei Verleumdungsklagen in Deutschland regelmäßig zu einer Beweislastumkehr kommt, das heißt die Beklage muss beweisen, dass ihre Tatsachenbehaupten wahr sind, liegt die Beweislast in den USA beim Kläger. Das liegt daran, dass man in den USA aufgrund der sehr weit gefassten Meinungsfreiheit fast alles sagen kann, was man will. Das komplette Gegenteil gilt übrigens in Japan, denn dort können selbst wahre Tatsachenbehauptungen eine Verleumdung darstellen. Dort sagt man besser gar nichts und lächelt lieber freundlich vor sich hin.