Im Jahre 1988 entschied der BGH einen höchst sonderbaren Fall, dessen Sachverhalt wie folgt beschrieben wurde:

Nach den Feststellungen lebten die Angeklagten in einem von „Mystizismus, Scheinerkenntnis und Irrglauben“ geprägten „neurotischen Beziehungsgeflecht“ zusammen. Der Angeklagten H. gelang es im bewußten Zusammenwirken mit P., dem leicht beeinflußbaren Angeklagten R. zunächst die Bedrohung ihrer Person durch Zuhälter und Gangster mit Erfolg vorzugaukeln und ihn in eine Beschützerrolle zu drängen. Später brachten beide ihn durch schauspielerische Tricks, Vorspiegeln hypnotischer und hellseherischer Fähigkeiten und die Vornahme mystischer Kulthandlungen dazu, an die Existenz des „Katzenkönigs“, der seit Jahrtausenden das Böse verkörpere und die Welt bedrohe, zu glauben; R. – in seiner Kritikfähigkeit eingeschränkt, aber auch aus Liebe zu Barbara H. darum bemüht, ihr zu glauben – wähnte sich schließlich auserkoren, gemeinsam mit den beiden anderen den Kampf gegen den „Katzenkönig“ aufzunehmen. Auf Geheiß mußte er Mutproben bestehen, sich katholisch taufen lassen, Barbara H. ewige Treue schwören; so wurde er von ihr und P. zunächst als Werkzeug für den eigenen Spaß benutzt.

Als die Angeklagte H. Mitte des Jahres 1986 von der Heirat ihres früheren Freundes Udo N. erfuhr, entschloß sie sich aus Haß und Eifersucht, dessen Frau (Annemarie N.) von R. – unter Ausnutzung seines Aberglaubens – töten zu lassen. In stillschweigendem Einverständnis mit P., der – wie sie wußte – seinen Nebenbuhler loswerden wollte, spiegelte die Angeklagte H. dem R. vor, wegen der vielen von ihm begangenen Fehler verlange der „Katzenkönig“ ein Menschenopfer in der Gestalt der Frau N.; falls er die Tat nicht binnen einer kurzen Frist vollende, müsse er sie verlassen, und die Menschheit oder Millionen von Menschen würden vom „Katzenkönig“ vernichtet.

R., der erkannte, daß das Mord sei, suchte auch unter Berufung auf das fünfte Gebot vergeblich nach einem Ausweg. H. und P. wiesen stets darauf hin, daß das Tötungsverbot für sie nicht gelte, „da es ein göttlicher Auftrag sei und sie die Menschheit zu retten hätten“. Nachdem er Barbara H. „unter Berufung auf Jesus“ hatte schwören müssen, einen Menschen zu töten, und sie ihn darauf hingewiesen hatte, daß bei Bruch des Schwurs seine „unsterbliche Seele auf Ewigkeit verflucht“ sei, war er schließlich zur Tat entschlossen. Ihn plagten Gewissensbisse, er wog jedoch die „Gefahr für Millionen Menschen ab“, die er „durch das Opfern von Frau N.“ retten könne.

Am späten Abend des 30. Juli 1986 suchte R. Frau N. in ihrem Blumenladen unter dem Vorwand auf, Rosen kaufen zu wollen. Entsprechend dem ihm von P. – im Einverständnis mit Barbara H. – gegebenen Rat stach R. mit einem ihm zu diesem Zweck von P. überlassenen Fahrtenmesser hinterrücks der ahnungs- und wehrlosen Frau N. in den Hals, das Gesicht und den Körper, um sie zu töten. Als dritte Personen der sich nun verzweifelt wehrenden Frau zu Hilfe eilten, ließ R. von weiterer Tatausführung ab, um entsprechend seinem „Auftrag“ unerkannt fliehen zu können; dabei rechnete er mit dem Tod seines Opfers, der jedoch ausblieb.

Kurzfassung: Ein Pärchen bringt den „leichtgläubigen“ R (der im richtigen Leben Polizist war) unter seine Kontrolle, und fordert ihn auf, zur Rettung der Menschheit dem „Katzenkönig“ ein Menschenopfer zu bringen. Dieses Menschenopfer war dann rein zufällig die Frau des Ex-Freunds der Angeklagten.

Das erste juristische Problem dieses Falles war, dass hier gegen einen solchen Angreifer selbstverständlich im Ergebnis die Notwehr erlaubt sein muss. Demzufolge musste der Angriff rechtswidrig sein. Dazu musste das Gericht den rechtfertigenden Notstand verneinen. Dies war noch relativ leicht, da man Leben nicht gegen Leben aufwiegen darf. Das mag zwar für manche sonderbar klingen, ist aber spätestens seit Kriegsende absolut herrschende Meinung. Bleibt noch ein Verbotsirrtum auf der Schuldebene. Hier verneinte das Gericht die Unvermeidbarkeit, denn R hätte sich zur Rettung der Menschheit vor dem „Katzenkönig“ an eine Vertrauensperson, z.B. einen Geistlichen, wenden können. Exorzist hin oder her, lassen wir das mal so stehen.

Das zweite Problem war verfahrenstechnischer Art, dass R überraschenderweise vom Sachverständigen nicht für geistesgestört erklärt worden war. Das ist eine dieser Konstellationen, in der ein Sachverständiger mittelbar den Verfahrensausgang bestimmt hat. R handelte danach im Ergebnis volldeliktisch.

Nach dieser verfahrenstechnischen Katastrophe schied für das Pärchen nach der klassischen Dogmatik ein versuchter Mord aus, denn gemeinschaftlich wurde die Tat mangels gemeinsamen Tatplans nicht begangen, und die mittelbare Täterschaft kam auch nicht mehr in Betracht, weil das Werkzeug (R) dank des Sachverständigen im Ergebnis volldeliktisch gehandelt hatte. Somit blieb für die Beiden dogmatisch eigentlich nur noch die Anstiftung übrig.

Das Landgericht bejahte hier dennoch einen versuchten Mord in mittelbarer Täterschaft „kraft überlegenen Wissens“. Dieser juristische Kunstgriff wurde vom BGH gehalten. Diese Hilfskonstruktion zur Korrektur von sonderbaren Gutachten gehört heute zum Standardrepertoire in der Rechtsprechung.

Der Fall ist natürlich ein Klassiker der Juristenausbildung. So tragisch es auch ist, Generationen von jungen Juristen haben sich über den „leichtgläubigen“ Polizisten totgelacht. Der Einzige, der sich in diesem Fall wirklich komplett blamiert hat, dürfte jedoch der Sachverständige gewesen sein.