Die neuste Meldung aus den USA beschreibt das zentrale Problem der amerikanischen Politik. Es geht dabei scheinbar um das formale Verständnis der amerikanischen Verfassung. Die Republikaner vertreten die Auffassung, die Verfassung habe grundsätzlich Ewigkeitscharakter, sie damit quasi eine Ersatzbibel. Die Demokraten vertreten die Auffassung, die Verfassung könne im Wege einer demokratischen (sic!) Abstimmung geändert werden. Der Witz besteht allerdings darin, dass die amerikanische Verfassung – entsprechend dem Motto „Land of the Free“ – extrem weitgehende Freiheitsrechte garantiert. Wer diese bewahren will, steht damit automatisch für Freiheit. Wer sie ändern will, steht automatisch für Unfreiheit. In Europa, historisch gesehen dem „Land of the Unfree“, wo die Leibeigenschaft der Normalfall war, ist die Ausgangssituation das komplette Gegenteil: In Europa stehen die Konservativen traditionell für Unfreiheit und die Progressiven für Freiheit. Europa und die USA waren fast 150 Jahre lang Gegensatzmodelle. Es ist kein Zufall, dass der deutsche 48er-Revolutionär Friedrich Hecker in die USA ausgewandert ist, weil er dort das fand, was er in Baden nicht erzwingen konnte.

Ein schönes Beispiel ist die Meinungsfreiheit: Während die europäischen Progressiven traditionell immer gegen die staatliche Zensur ihrer subversiven Umsturzaufrufe waren, schwappt seit geraumer Zeit von den US-Demokraten eine „progressive“ Zensurwelle über den großen Teich. Das fing an mit der sog. „Politischen Korrektheit“ und endete vorerst mit der Einflussnahme auf Facebook und Google durch das NetzDG. Weil die europäischen Progressiven die Inhalte der amerikanischen Progressiven ausnahmslos übernehmen (vgl. BLM), verwickeln sie sich wegen der unterschiedlichen Ausgangspunkte zunehmend in Widersprüche. Diese Widersprüche führen zu einem Verlust ihrer Glaubwürdigkeit, der im Gegenzug die Konservatien stärkt, indem sie einfach nur auf Widersprüche und doppelte Standards hinweisen müssen. Das wiederum führt zu der „progressiven“ Forderung nach noch mehr Zensur.

Wann merkt eigentlich jemand bei den europäischen Progressiven, dass man amerikanischen Lösungen nicht 1:1 auf Europa übertragen kann?

In Europa stellt der Waffenbesitz die Ausnahme dar, in den USA die Regel. Wenn die Progressiven in den USA den Waffenbesitz beschränken wollen, muss man dieses Thema nicht übernehmen, denn wir haben hier bereits die Unfreiheit. Wenn wir diesen Bereich noch stärker reglementieren, machen wir uns komplett lächerlich. Es wäre offenkundig zu viel des Guten, denn irgendwann wären nur noch die Verbrecher bewaffnet. Das ist jedoch genau die Gruppe, die man eigentlich entwaffnen müsste, was offenbar nicht gelingt. Die Regeln der Vernunft wären damit komplett auf den Kopf gestellt.

Ein weiterer Gegensatz zwischen Europa und der „neuen Welt“ zeigt sich bei beim Liberalismus. In den USA verstehen sich die Demokraten als „liberals“, im Sinne von verfassungsliberal, beabsichtigen jedoch die gesetzliche Erzwingung des Altruismus, und stehen damit für die Beschränkung der Freiheit. Die Republikaner bezeichnen sich demgegenüber selbst als „libertär“ im Sinne der freiheitlichen US-Verfassung. Sie wollen sich nicht per Gesetz zum Altruismus verpflichten lassen, sondern bestehen auf ihrer Freiheit, egoistisch handeln zu dürfen. In Europa wird „liberal“ genau andersrum verstanden. In Deutschland haben wir z.B. mit der FDP eine „liberale“ Partei, die für Freiheit zum Egoismus steht, die nach amerikanischem Verständnis „libertär“ wäre.

Zum Abschluss möchte ich Roosevelt zu Wort kommen lassen, der im Fireside Chat No.5 erklärt hat, für welche Politik seine US-Demokraten standen. Dass er mit dem „New Deal“ in der Folge Probleme mit dem Supreme Court bekam, ist kein Wunder. Manche der Maßnahmen waren verfassungswidrig.