Gestern, am 1. April, präsentierte die Berliner Zeitung erstaunliche Einsichten, die rein gar nicht ihren eingeübten Verhaltensmustern entsprachen. Dem erstaunten Leser wurde in besagtem Artikel die kühne These unterbreitet, Deutschland präsentiere sich als Entwicklungsland. Ferner wurde eine Erklärung angekündigt, warum die BRD nur noch zu Mittelmaß imstande sei. Zu der ersehnten Aufklärung kam es am Ende leider nicht, dazu später, aber es wurden anlässlich des Staatsbesuchs zumindest fünf Symptome ausgemacht:

1. Made in Germany hat auch ausgedient
In Deutschland leide an einem schleichenden Substanzverlust, der sich nicht zuletzt in der mangelhaften Umsetzung des Protokolls zeige.

2. Militärische Ehren am Pariser Platz
Bemängelt wurde der Kleidungsstil des Bundespräsidenten und die Personalpolitik des Wachbataillons. Letztere scheint die Autoren offenbar an sog. „Basement Dwellers“ zu erinnern.

3. Das Staatsbankett im Schloss Bellevue
Beim Staatsbankett wurde der Staatsgast mit deutschen C-Promis konfrontiert.

4. Das Menü
Was an Speis und Trank unter dem Schlagwort „Deutsche Avantgarde“ geboten wurde, wirkte auf der einen Seite zu provinziell, auf der anderen zu minimalistisch. Der Gast sei von Hause aus Besseres gewohnt.

5. Die Rede im Bundestag
Last but not least präsentierten sich die Bundestagsabgeordneten, mit Ausnahme der Kolleg:innen der Linkspartei, die mangelnden Respekt vor dem Adel durchblicken ließen, auch kleidungstechnisch als Durchschnitt der Bevölkerung. Gut, immerhin kam niemand in Jogginghosen.

Aus meiner Sicht lief die Veranstaltung zu 100% wie geplant. Es wurde genau das Bild von Deutschland vermittelt, was vermittelt werden sollte, nämlich das Idealbild Churchills. Es wurde ein „feistes impotentes“ Deutschland gezeigt, in dem keine Eliten regieren, sondern allenfalls das Mittelmaß. Es wurde ein Protokoll gezeigt, das nur noch marginale Qualitätsansprüche an sich selbst stellt, und es werden Deutsche gezeigt, die dies für völlig normal halten. Was dem Briten vor allem gezeigt wurde, war erfolgreiche Umerziehung mit der Bitte zur Kenntnisnahme. Es besteht kein Grund mehr zu Befürchtungen.

Um ein Detail herauszugreifen: Das Wachbataillon stellt eine deutlich sichtbare Abgrenzung zum Wachregiment Berlin bzw. zum Wachregiment „Friedrich Engels“ dar. Dies hat man nicht nur optisch durch ein anderes Uniformdesign erreicht, inklusive französischem Barett, das in keiner Weise mehr an eine deutsche Armee erinnert, sondern auch durch einen völlig skurril wirkenden Marschstil, der an Gehen erinnert. Wenn es möglich gewesen wäre rückwärts zu laufen, hätte man das vermutlich auch noch getan. Dass das Ergebnis hochgradig sonderbar aussieht und auf die Bevölkerung entfremdet wirkt, ist kein Betriebsunfall, sondern beabsichtigt, und geht auf die Himmelroder Denkschrift zurück. Die ersten Uniformen der Bundeswehr aus dem Jahre 1955 sahen übrigens so unterirdisch grausam aus, dass es zu Protesten der Soldaten und einer Uniformrevision kam. Die hässlichen Uniformen werden immer mal wieder thematisiert, jedoch verschwinden Verbesserungsvorschläge natürlich sofort wieder in der Schublade. Schöne Uniformen sind nicht erwünscht.